https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/spam-das-neue-festival-fuer-alte-musik-in-berlin-18697972.html

Alte Musik in Berlin : Vom Karneval direkt hinein in die Passionszeit

  • -Aktualisiert am

Ton Koopman und seiner Ehe­frau Tini Mathot am Cembalo in Spandau Bild: Stephan Röhl

Ton Koopman, Arianna Savall, RIAS-Kammerchor: SPAM, das neue Festival für Alte Musik, bietet in Berlin nicht nur große Namen, sondern auch ein gutes Programm auf.

          3 Min.

          „Spandau macht alte Musik“ – selbstironisch zu „SPAM“ verkürzt und plakatiert – heißt ein frisches Berliner Pflänzchen, eher vorfrühlingskeck als zart: wenn sich allabendlich die Besucherscharen schon eine halbe Stunde vor Beginn zuhauf ballen, um den Interpreten bei freier Platzwahl möglichst nahe rücken zu können, kann es mittels abgelegter Regencapes und Schals durchaus rustikale Positionskämpfe wie um die besten Liegen am Pool geben. Regelmäßig sind die Räume in der Zitadelle trotz beträchtlicher Dimensionen voll besetzt, in aufgekratzter Stimmung erwartet man einheimische Altmusik-Kapazitäten wie die Lautten Compagney, den RIAS-Kammerchor und die Akademie für Alte Musik, dazu Gäste wie Benedikt Kristjánsson oder Musica Fiata und die Capella Ducale unter Roland Wilson. Das Unternehmen ist, nach Eindrücken von den ersten der zwölf Veranstaltungstage, die noch bis zum kommenden Sonntag laufen und mit dem Aschermittwoch scharf vom bisherigen Karnevalstreiben auf die Passions- und Fastenthematik (dann auch in der gotischen Nikolaikirche) umbiegen, ein Volltreffer für eine Jahreszeit, die für Musikfreunde sonst bis Ostern oft nur die Mühen der Ebene zu bieten hat.

          Wem aber Spandau und sein Kulturhaus als unmittelbarer Ausrichter, selbst für Zentral-Berliner Verhältnisse „janz weit draußen“, zu piefig erscheinen, darf schnell nachrechnen, dass dieser Zipfel der Hauptstadt neben seinen stimmungsvollen Veranstaltungsorten auch knapp 250.000 Einwohner hat und damit mehr als, beispielsweise, Salzburg und Bayreuth zusammen. Wobei freilich solche Bezugsgrößen gar nicht in den Blick genommen werden bei einer Veranstaltung, die sich ausdrücklich „Ein Festival für Berlin“ nennt. Sie unterscheidet sich damit deutlich von den inhaltlich noch am ehesten vergleichbaren, aber in der Publikumszusammensetzung kosmopolitisch ausgerichteten Altmusik-Wochen in der Staatsoper. Eher tritt der Bezirk im Nordwesten, der so augenscheinlich wie hörbar auch einen Gutteil der Besucher stellt, die Nachfolge der seit 1970 aus dem geteilten ins wiedervereinte Berlin gewanderten Bach-Tage an: damals städtisch getragen und gut besucht, bis sie nach 30 Durchläufen – bizarrerweise im weltweit umfänglich abgefeierten Bachjahr 2000 – vom damaligen Kurzzeit-Kultursenator Christoph Stölzl ohne langes Fackeln abgewickelt wurden.

          Augenzwinkernde Cembalo-Adaption einer Mozart-Sonate

          In den Nachrufen auf den vor wenigen Wochen verstorbenen Kulturpolitiker dürfte diese Episode weitgehend übergangen worden sein. Weil sich aber auch die Zeitgeschichte gelegentliche Bizarrerien erlaubt, ist es nun ausgerechnet Klaus Lederer, Kultursenator von der Linken, der als Schirmherr und Geldgeber eine Generation später da wieder ansetzt, wo sein nobel-professoraler Vorgänger Scherben hinterlassen hatte. Im Kontext eines Stadtstaaten-Regiments, das seit Jahr und Tag so flächendeckend erbärmlich agiert, dass einem selbst die Lust am ordentlichen Ablästern vergeht, darf man über solch einen seltenen Lichtblick froh sein; Fortsetzung erwünscht.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Landesparteitag der AfD in Hessen am 5. Mai in  Königstein

          Gegen links und rechts : Das vielbeschworene Phänomen Mitte

          Sowohl CDU als auch SPD begreifen sich als Parteien der Mitte. Aber auch die AfD behauptet, sie repräsentiere die Mitte der Gesellschaft. Was also ist die Mitte? Ein Gastbeitrag.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.