Theaterstück „Willkommen“ : Wer, wenn nicht wir, kann sich einen Flüchtling leisten?
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Wie hältst du es mit der Zuwanderung? Die WG-Bewohner gehen in sich. Bild: Matthias Horn
Sönke Wortmann inszeniert in Düsseldorf „Willkommen“, die neue Komödie von Lutz Hübner und Sarah Nemitz. Das Stück spielt in einer Luxus-WG. Die streitet sich um einen neuen Mitbewohner.
Die Uhr über der Küchentür tickt die Realzeit. Punkt acht geht im Saal das Licht aus, und die beiden Tischtennis-Cracks, die links einen Showkampf hingelegt haben, überlassen den Schauspielern die Bühne, die rechts um den Tisch sitzen und gerade mit dem Essen fertig sind. In den Tellern kleben Reste von Tomatensugo, Bier- und Weinflaschen stehen herum, Gläser, Kerzen, auch der Leporello des Theaters hängt am Pinboard in der Küche, aus dem Laptop wummert Acid Jazz. „Willkommen“, die neue Komödie von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, spielt in einer Luxus-WG in Düsseldorf mit Parkett, Designerstühlen, Espressomaschine, Kunst, Hängematte und Dachterrasse. Drei Frauen und zwei Männer teilen sich 220 Quadratmeter.
Der Lift fährt bis in die Wohnung. Benny steigt aus und zieht ein bedröppeltes Gesicht. Kurze Anspannung, die sein „Reingelegt!“ auflöst. Ja, er hat das Stipendium für New York und kann bei seinem Freund David in Brooklyn wohnen; Sophie, mit der er bis zu seinem Coming out vor drei Jahren zusammen war, verdrückt eine Träne. Alle freuen sich. „Klarer Fall für den Notfallschampus!“ Für ein Jahr wird der Anglistikdozent in die Staaten gehen, und sein Zimmer möchte er, der in einem Flüchtlingsheim in Oberbilk mitgeholfen hat, so lange Geflüchteten zur Verfügung stellen. Aber natürlich nur, „wenn alle einverstanden sind“. Er selbst ist ja fein raus, und seinen Designer-Sessel („der helle Bezug ist ein bisschen empfindlich“) würde er solange in den Keller stellen.
Die WG-Bewohner sollen Farbe bekennen
Das Stück kommt schnell zur Sache. Jedenfalls tut es so: Die WG-Bewohner sollen Farbe bekennen, zeigen, wie ernst sie es meinen mit dem Willkommen. Sophie, wenig erfolgreiche Künstlerfotografin, ist zunächst unbedingt dafür, freut sich auf neue Impulse, Austausch, Bereicherung und kann sich gut vorstellen, „ein Projekt mit denen zu machen, als Langzeitdokumentation“. Jonas, Betriebswirt bei einer Bank, sagt „tolle Idee“, aber auch, dass er, solange die Probezeit läuft, seinen Schlaf braucht. Die feministische Verwaltungsangestellte Doro kann, da nimmt sie kein Blatt vor den Mund, arabische Männer nicht ausstehen und will weiter im Morgenmantel über den Flur laufen und nackt auf der Dachterrasse sonnenbaden können. Und Nesthäkchen Anna, Studentin der Sozialpädagogik kurz vor dem Examen, ist, aber das muss sie den anderen erst mal verklickern, schwanger. Wie es weitergehen soll, weiß sie noch nicht, doch hätte sie das Zimmer gerne für ihren Freund Achmed, der in Gelsenkirchen eine Fahrradwerkstatt für Schulabbrecher leitet.
Meinungen und Haltungen prallen aufeinander. Es geht hoch her, aber nicht tief ins Thema. Denn die Figuren reden, als würden sie von Therapeuten und Sozialarbeitern souffliert: „Ich meine nur, man geht einen Weg zusammen, und wir haben den Platz, wir können es uns leisten, großzügig zu sein. Wir sind die Leute, die Türen öffnen können. Wer, wenn nicht wir?“ sagt etwa Sophie. Der Deutschtürke Achmed erweist sich, auch wenn er seine Zöglinge „Kanaken“ nennt, als ernsthafter, selbstironischer und charmanter Bursche. Das Zimmer kriegt er trotzdem nicht. Es wird, nachdem Sophie, die Hauptmieterin, deren vermögender Vater die Wohnung gekauft hat, die anderen mal kurz rausgeschmissen und der in Kalifornien angeskypte Papa ihr die Umwandlung in ein privates Flüchtlingsheim verboten hat, als Gästezimmer genommen, in das die Tischtennisplatte gestellt wird. Wir können es uns leisten: „Es hätt’ noch immer jot jejange...“
Wie die Figuren zwischen Betroffenheitsattitüden und geläufigen Vorurteilen, politischer Korrektheit und schlagfertigem Zynismus lavieren, ist halbwegs komisch. Doch das oberflächliche Interesse, die Beschränktheit und Sentimentalität, die sie ihnen zuschreibt, kennzeichnet die Komödie auch selbst. Indem sie so tut, als ließe es sich auf Wohnküchenformat herunterbrechen, verharmlost sie das gesellschaftspolitische Thema. „Willkommen“ simuliert eine Bedeutung, die es nicht ansatzweise ausfüllt: Die Frage eines respektvollen Zusammenlebens wird auf das Problem eines familiären Zusammenwohnens verengt – als könnte das eine für das andere stehen. Statt sich auf Konflikte einzulassen, werden Gutmenschentum und pragmatischer Egoismus belacht und „entlarvt“.
Die Uraufführung auf der kleinen Bühne des „Central“, der Düsseldorfer Ausweichspielstätte, macht kurzen Prozess: Im realistischen Einheitsraum von Florian Etti lässt Sönke Wortmann, der schon „Frau Müller muss weg“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz am Berliner Grips-Theater inszeniert und anschließend verfilmt hat, das Stück mit Schauspielern, die voll auf die Typen setzen, flott und glatt herunterspielen. So kommt es nicht einmal auf Spielfilmlänge. Beim Schlussapplaus steht die Uhr auf Viertel nach neun.