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Siemens-Musikpreis : Auf Haut geschrieben

  • -Aktualisiert am

George Benjamin Bild: Rui Camilo/Ernst von Siemens-Musikstiftung

Mit einer Viertelmillion Euro ist der Ernst von Siemens-Musikpreis einer der weltweit höchstdotierten Preise für Musik. In diesem Jahr geht er an den englischen Komponisten Sir George Benjamin.

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          Es klinge zwar etwas seltsam, aber beim Komponieren sei er stark vom Wetter beeinflusst, sagte George Benjamin vor elf Jahren im Zusammenhang mit seinem Orchesterstück „Palimpsest“. Er liebe sonnige, wolkenlose Wintertage, „wenn die Luft vollkommen klar ist und es dieses heftige, direkte Licht gibt, das die Verschiedenheit der Dinge akzentuiert und die Details einer Landschaft klarer erscheinen lässt. Das transformiert die Welt, man sieht sie mit anderen Augen an.“

          Benjamin, dem nun der mit einer viertel Million Euro dotierte Ernst von Siemens Musikpreis 2023 zuerkannt wird, vermag solche sensuellen Eindrücke wie kein Zweiter in klare, transparente Strukturen umzusetzen. Die Musik von Claude Debussy gehörte zu seinen frühen Anregungen, aber sein Weg führte ihn zu einem persönlichen, von starker Assimilierungskraft gezeichneten Stil. Französische Einflüsse, die englische Tradition, für die Benjamin Britten beispielhaft steht, Schönbergs Reihentechnik und ein durch Computerkenntnisse geschärftes Klang­verständnis sind darin zur Synthese gebracht. Stets geht es Benjamin um gedankliche Inhalte jenseits des reinen Strukturdenkens. Damit bewegt er sich in einem musikalischen Traditionsfeld, dem im deutsch­sprachigen Kulturraum, wo allzu lange hauptsächlich Fragen des Materials und der Technik diskutiert wurden, bis heute zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.

          Sein Hauptinstrument ist das Orchester, dem er dramaturgisch genau kalkulierte Farben abgewinnt. Es bildet auch in seinen Opern eine wichtige Basis, zumal in „Written on Skin“ (2012) und „Lessons in Love and Violence“ (2018), Schwerpunkten seines jüngeren Schaffens. Beide handeln von konflikthafter Liebe im Kontext von Herrschaft, die Vorlagen stammen aus dem Mittelalter und dem elisabethanischen Drama.

          Benjamins Karriere war früh vorgezeichnet. Geboren 1960 in London, war er mit sechzehn Jahren nicht nur der jüngste, sondern auch einer der letzten Schüler von Olivier Messiaen in Paris. Ein ikonisch gewordenes Foto zeigt ihn mit seinem Lehrer und mit Pierre Boulez, der noch in den letzten Kriegsjahren als Achtzehnjähriger ebenfalls bei Messiaen studiert hatte. Die Studien setzte er in Cambridge bei Alexander Goehr fort, und mit zwanzig, noch als Student, war er mit seinem Orchesterstück „Ringed by the Flat Horizon“ der jüngste Komponist, der bei den traditionsreichen „Proms“ in London aufgeführt wurde. Dirigenten wie Simon Rattle, Pierre Boulez und Kent Nagano machten seine Orchesterwerke in der Folge international bekannt, das London Symphony Orchestra porträtierte ihn während der Saison 2002 mit zahlreichen Aufführungen. Benjamin – seit 2017 Sir George – unterrichtet seit 2001 am Londoner King’s College Komposition und hat sich auch als Programmmacher unter anderem beim Londoner Meltdown-Festival, als Pianist und als Dirigent meist zeitgenössischer Musik einen Namen gemacht; in Deutschland ist er vor allem dem Frankfurter Ensemble Modern verbunden.

          Mit ihrem Hauptpreis – Förderpreise gehen außerdem an Sara Glojnarić, Alex Paxton und Eric Wubbels – zeichnet die Ernst von Siemens Musikstiftung einen Allround-Musiker aus, der das Musikleben auf unspektakuläre, aber nachhaltige Weise geprägt hat und noch lange nicht am Ende seiner vielseitigen Aktivitäten angelangt ist. In der gegenwärtigen, durch ökonomische Unsicherheit und strukturellen Wandel geprägten Situation ist das kein schlechtes Zeichen.

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