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Theater in Bochum : Wir sind, woran wir leiden

Einer steht immer am Rand: Victor Ijdens, Anne Rietmeijer, Jele Brückner und im Hintergrund Konstantin Bühler in Bochum. Bild: Birgit Hupfeld

Hochgeschwindigkeits-Mikado mit Rasierklingen: Guy Clemens inszeniert am Schauspielhaus Bochum Edward Albees Geschlechterkriegs-Klassiker „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“.

          4 Min.

          Sie sind Raubtiere, aber sie wollen nur spielen. Martha und George, seit mehr als zwei Jahrzehnten verheiratet, sind im Leben gescheitert, aber unerreicht in der schäbigen Kunst, sich in ihren Niederlagen zu suhlen. Aus ihrem Selbstmitleid schmieden sie ihre Wut, die wiederum zu Selbstmitleid gerinnt, denn den Schmerz, den sie dem anderen genüsslich zufügen, verspüren sie auch am eigenen Leib. Als wären sie ein Fleisch. So haben sie sich blutig-gemütlich eingerichtet in einem ewigen Kreislauf der Gemeinheiten, Verletzungen, Erniedrigungen.

          Hubert Spiegel
          Redakteur im Feuilleton.

          Sie sind Süchtige, die den Stoff, den sie zum Leben brauchen, praktischerweise selbst erzeugen können. Und tatsächlich wären sie die perfekte Paarmaschine in der Strafkolonie einer amerikanischen Provinz-Universität – der giftige Stachel und das weiche Fleisch, die glatte Klinge und der nackte Hals, einander in endlos wechselnden Quälvariationen innigst verbunden –, wäre da nicht noch eine Kleinigkeit. Von Zeit zu Zeit brauchen sie ein Publikum, vor dem sie sich entblößen und verhüllen, das sie verachten und umwerben können. Also geht es um zwei Paare in diesem Stück, um zwei Generationen, zwei Geschlechter, zwei gescheiterte Ehen.

          Edward Albees Geschlechterkriegsdrama „Wer hat Angst vor Virgina Woolf“ ist mittlerweile sechzig Jahre alt. Wie blickt eine Generation, der Life-Work-Balance und vegane Ernährung oftmals wichtiger sind als Führungspöstchen und Rudelsaufen zum Zwecke beruflich nutzbringender sozialer Vernetzung, auf Albees toxischen Cocktail, der den amerikanischen Traum in Zynismus und Alkohol einlegt wie einen präparierten Leichnam? Die nicht ohne Misogynie gezeichneten Frauenfiguren Martha und Honey sind geprägt durch ihre Herkunft und deformiert durch ihre übermächtigen Väter, der eine ein korrupter Rektor einer Universität, ein geldgieriger Prediger der andere. Der Historiker George und der Biologe Nick, ihre Ehemänner, werden gemessen an ihrem beruflichen Erfolg und an traditionellen Männlichkeitsidealen wie Sportlichkeit und Potenz. Die Ausgangskonstellation hat also ordentlich Staub angesetzt, aber das scheint den Regisseur Guy Clemens nicht sonderlich zu kümmern.

          Das Löwenmaul hat zugebissen

          Die Bühne ist ein notdürftig als Wohnzimmer verkleidetes Spirituosendepot. Statt einer Hausbar gibt es gleich drei; zwei davon sind so groß, dass man auch einmal darin verschwinden kann. Als hätte ein gigantisches Löwenmäulchen ein Stück herausgebissen, klafft ein großes gezacktes Loch in der vierten Wand. Haben an der Außenfassade die Abrissarbeiten bereits begonnen, während drinnen noch kräftig gefeiert wird? Es ist zwei Uhr nachts, die Party ist vorüber, in den nächsten Stunden wird ein Absacker dem nächsten folgen, literweise.

          Ist George, der Geschichtsprofessor und verstoßene Kronprinz seines Schwiegervaters, schon gebrochen oder noch biegsam? Konstantin Bühler lässt die Frage lange offen. Sein George trägt einen engen grünen Dreiteiler mit Messingknöpfen und eine Frisur, um die ihn nicht einmal ein Glatzkopf beneiden würde. Die Kostüme, die Bühnenbildnerin Dorothee Curio entworfen hat, verweisen auf die späten Sechziger- oder frühen Siebzigerjahre und sind mit viel Sinn für sprechende Details ausgestattet. Das gilt für die ganze Inszenierung, die dem Text nachhorcht, seinen Rhythmus sorgfältig strukturiert, die Dialoge mal abfeuert wie beim Hochgeschwindigkeitsmikado mit Rasierklingen, aber auch völlige Stille aushält. Dann sprechen nur noch die Blicke und Körper. Allein die Choreographie der Beinstellungen ist sehenswert.

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