Schauspieler in Gefahr : Sie gehen als Menschen unter
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Was fehlt? Richtig, die Schauspieler. Und zwar nicht nur die mit Festengagement, sondern auch die freischaffenden Gäste. Bild: plainpicture/Michel Monteaux
Die Lage der freischaffenden Künstler ist dramatisch. Wegen ihrer sozialrechtlichen Ambivalenz fallen sie bisher durch alle Raster. Jetzt gibt es einen Hoffnungsschimmer.
Jetzt, mit den neuen Beschlüssen zur Eindämmung der Pandemie gibt es fast keinen mehr, dessen Arbeitsleben nicht durch Corona eingeschränkt würde. Aber es gibt unterschiedliche Härtegrade der Betroffenheit. Eine Profession, die von Beginn an stärker als fast alle anderen von der Corona-Pandemie in Mitleidenschaft gezogen wurde, sind die freiberuflichen Künstler. Sie, die weder unter dem Schutz eines Ensembles stehen noch ihre Arbeitsleistungen einfach „to go“ anbieten können, stehen seit März vor den Scherben ihrer Existenz. Worauf sie sonst so stolz sind, ihre Freiheit und Unabhängigkeit, haben sie in den vergangenen zehn Monaten oft verflucht. Die wenigen Interessengruppen, die sie vertreten – etwa die Allianz der Freien Künste – haben zuletzt wieder vor „irreversiblen Folgen für das kulturelle Leben in Deutschland“ gewarnt, wenn nicht endlich wirksame Hilfsmaßnahmen auf den Weg gebracht und etwa ein fiktiver Ersatzlohn in Höhe von mindestens 1180 Euro an solo-selbständige Kunstschaffende ausgezahlt würde.
Die größte Aufmerksamkeit erregte zuletzt allerdings ein Brief der freischaffenden Schauspielerin Julischka Eichel an Kulturstaatsministerin Monika Grütters, in dem sie von ihrer ausweglosen Situation berichtete. Denn anders als viele denken, gelten freischaffende Schauspieler arbeitsrechtlich gesehen nicht als selbständig, weil sie jeden Tag, den sie für Hörfunk, Film oder Theater arbeiten, angestellt und sozialversichert sind und damit auch Ansprüche auf Arbeitslosengeld erwerben. Der Fachbegriff für sie lautet „unständige Beschäftigung“, sie gelten wirtschaftlich gesehen als selbständig, aber sozialrechtlich als beschäftigt. Das hat zur Folge, dass sie durchs Raster fallen und die bisher aufgelegten Corona-Hilfsprogramme an ihnen vorbeigehen.
Gefährliches Halbwissen
Eichel klagte in ihrem Brief nicht nur die Behörden und Verwaltungen an, die mit einem „gefährlichen Halbwissen“ über atypsiche Beschäftigungen darüber entscheiden, wer wie unterstützt wird, sondern auch die Staatstheater, die sich nicht solidarisch mit ihren Gastschauspielern verhalten, für ausgefallene Vorstellungen nicht zahlen und verabredete Projekte plötzlich nicht mehr weiter besprechen. Zwar kam in einer Umfrage von „Theater heute“ kürzlich fast jeder in der befragten Intendantenrunde sorgenvoll auf die schwierige Rolle der Freischaffenden zu sprechen, aber mehr als Lippenbekenntnisse waren das offenbar nicht.
Eichels Brief, den sie auf der Branchenplattform nachtkritik.de veröffentlichte, hat viel Aufsehen erregt. Viele Kolleginnen und Kollegen sahen ihr eigenes Schicksal beschrieben. Gestern Nachmittag veranstaltete dann der Bundesverband Schauspiel BFFS – Deutschlands mitgliederstärkste Berufsvertretung der Film-, Fernseh- und Theaterlandschaft – eine digitale Pressekonferenz, um auf die grassierende Notlage aufmerksam zu machen. Nach Angaben des Verbandes lebten von den rund 20 000 Schauspielerinnen und Schauspielern in Deutschland circa zwei Drittel von Gastverpflichtungen an Bühnen. Obwohl die seit März 2020 kaum Einkommen hatten, erhielten sie bisher aus den staatlichen Corona-Hilfspaketen keinerlei Unterstützung. Nur beim bayrischen Ministerpräsidenten habe der Verband bislang Gehör gefunden, der daraufhin angewiesen habe, Corona-Hilfe in seinem Land auch für kurzzeitig Beschäftigte auszuzahlen. Schauspielerin Leslie Malton, im Vorstand des BFFS, warnte eindringlich davor, dass die Vergessenen „als Künstler und als Menschen untergehen“.
Noch während die Pressekonferenz lief, kam eine Meldung aus dem Bundeskulturministerium, die ankündigte, dass nun auch „unständige Beschäftigte“ für Corona-Hilfen antragsberechtigt seien. Allerdings sind damit nur jene Künstlerinnen und Künstler gemeint, die bis zu einer Woche in einem Projekt arbeiten. Wer länger als das an einer Bühne beschäftigt war, geht weiter leer aus und wohl wirklich bald unter. Der rettende Befreiungsschlag wäre eine Ausweitung der Begrifflichkeit hin zu allen, die „auf Projektdauer beschäftigt“ sind. Die Hoffnung stirbt zuletzt – solche Sätze sagen Schauspieler oft auf Bühnen. Da dürfen sie gerade nicht stehen. Und deshalb ist ihre Verzweiflung groß. Sehr groß.