Richard Wagners „Walküre“ : Blutende Jünglinge in abgestürzten Helikoptern
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Dietrich Hilsdorf inszeniert Richard Wagners „Walküre“ an der Deutschen Oper Düsseldorf. Dabei vertraut er auf die Darstellungskraft der Sänger – doch das funktioniert nicht immer.
Schüchtern wimmert es aus dem Orchestergraben in der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. So, als wollten die Hörner, Klarinetten und Fagotte mit ihren Todesmotiven die beiden Singenden nicht stören. Brünnhilde kündet dem Helden Siegmund den baldigen Tod an, sie bändigt ihre Kraft, wirkt fast lieblich, Siegmund antwortet mit zerbrechlichen, immer silbriger werdenden Phrasen. Er will seine Geliebte Sieglinde nicht verlassen.
Nach einem durchwachsenen „Rheingold“ (F.A.Z. vom 26. Juni 2017) geht es in Düsseldorf mit Richard Wagners Opernvierteiler „Der Ring des Nibelungen“ in der Regie von Dietrich Hilsdorf in die nächste Runde. Hatte es damals noch einige Wackler gegeben, so ist die musikalische Qualität dieser „Walküre“ bis auf minimale Ungenauigkeiten an den Akt-Enden überzeugend. Axel Kober lässt die Düsseldorfer Philharmoniker über weite Strecken dezenter, sehr reaktionsdicht begleiten und schenkt dem grandiosen Geschwisterpaar, besonders wenn im ersten Akt die Winterstürme dem Wonnemond weichen, Glücksmomente. Sie wiederholen sich später bei der Todesverkündung.
Dass der gesanglich vieldimensionale Siegmund, Corby Welch, seine Sieglinde, Elisabet Strid, nicht verlassen will, versteht man gut. Die Sängerin verfügt über ganz erstaunliche Nuancen, mal hell wie ein Glockenspiel, mal dunkel und unerklärlich, eine völlig zerrissene Seele. Sie hat nicht nur stimmlich, sondern auch in Hilsdorfs Inszenierung die Hosen an, tauscht sie doch vor den pathosgeladenen Erkennungsszenen die Kleidung mit Siegmund. Nach gut einer Stunde ist dies das erste Mal, dass die Regie merklich ins Geschehen eingreift. Bis dahin wird die bekannte Dreierkonstellation mit Sieglindes finsterem Ehemann Hunding recht klassisch abgebildet.
Das Götterpaar streitet sich vor allen Beteiligten
Über alle drei Akte hinweg ist die Bühne von Dieter Richter eine allzu große, triste Halle, deren Rückseite im Nebel liegt, während vom Interieur einzig ein rotes Sofa von der glanzvollen Vergangenheit der hier Hausenden erzählt. An der einen Seite steht der große Baumstamm, in welchem das in dieser „Ring“-Deutung omnipräsente Schwert steckt, gegenüber ein Ofen mit einer Art Bunkereingang.
Auf Walhall, bei den Göttern, sind Wotan und Fricka Oberhaupt der Familienbande; jeder kennt jeden, ist eifersüchtig und schmiedet Ränke. Alle wirken stets gehetzt, tragen militärisch anmutende Mäntel; nur manchmal wollen die Frauen mit ihren roten Kleidern noch den Schein sicherer, halbwegs ziviler Macht wahren. Vor allen Beteiligten streitet sich das Götterpaar im zweiten Akt, besonders Wotan spricht dabei dem Wein gut zu, bevor er seine weltbewegenden Reden schwingt – und penibel Stühle und Gläser zurechtrückt. Mit sichtlicher Freude zerkrümelt Hilsdorf das Pathos Wagners und beschränkt sich beim Abrufen des Mythos auf wenige ikonische Momente.
Vor dem Walkürenritt dröhnen Rotoren durch den Saal, und die acht Sängerinnen bergen die blutigen Leichen von Jünglingen aus einem abgestürzten Helikopter. Ein bunter Zirkusbogen, im „Rheingold“ noch der karikierte Regenbogen, kommt zum Einsatz, während die Soldaten wie Zombies in die Arme der Kriegerinnen stolpern. So ruhmreich ist die Fahrt nach Walhall also keineswegs.
Hilsdorf ist nicht allzu experimentierfreudig
Zieht man den Mythos ab, wird hier ein bloßer Familienkonflikt geboten, den Hilsdorf weniger inszeniert, als dass er auf die Darstellungskraft der Sänger vertraut. Das funktioniert nicht immer. Wenn am Ende Wotan seine widerspenstige Lieblingstochter Brünnhilde im großen Saal einschließt, wird das Schauspiel hölzern, bis es im Herumsitzen erstarrt. Linda Watson liefert als Brünnhilde nichtsdestotrotz eine starke Vorstellung, immer angenehm geerdet, ohne kreischende Schärfen in ihrer Höhe. Simon Neal als Wotan konnte sich im Vergleich zum „Rheingold“ steigern. Erschöpfungserscheinungen waren allerdings gegen Ende der Oper nicht gänzlich zu verbergen.
Abgesehen von der sich durchziehenden Vermenschlichung aller Beteiligten, ist Hilsdorf nicht allzu experimentierfreudig, er verzichtet auf Deutungen und Perspektiven, die länger in Erinnerung blieben; manchmal wirkt das einfallslos. Ob ihn der Buhsturm, der den Jubel etwas übertönt, deshalb trifft oder nur, weil einige Alt-Wagnerianer immer noch Götterburgen und Ritterrüstungen haben wollen, ist nicht zu sagen.
Renée Morloc als Fricka und ein pompöser Hunding von Sami Luttinen veredeln derweil die überzeugende Besetzung des Abends, der durch das organische Auf- und Abschwellen des Orchesters unter Kober über weite Strecken zum Sängerfest wird.
Diese musikalische Klasse macht Hoffnung, dass so auch der wohl sperrigste Teil des „Rings“, der „Siegfried“, im April zum künstlerischen Ereignis werden kann. Bis dahin, so möchte man wünschen, könnte auch das Regiekonzept überzeugender werden, je mehr das Ende der mythischen Götterwelt näher rückt.