Wagners Frühwerk in Bayreuth : Festival der Halbherzigkeiten
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Am Ende entlarvt Isabella (Christiane Libor) das Maskenspiel des Statthalters, der in Palermo das „Liebesverbot“ erließ Bild: Foto BF Medien/Spona Medien
„Die Feen“ und „Das Liebesverbot“ von Richard Wagner kommen endlich in Bayreuth zur Aufführung. Die frühen Werke Wagners hatte man hier bis dato umgangen.
Es war ein Kraftakt und, zweifellos, ein wichtiges Experiment: Erstmals in der fast hundertvierzigjährigen Geschichte der Wagner-Festspiele sollten seine drei Jugendwerke in Bayreuth aufgeführt werden, binnen drei Tagen, in einer Art „Festival vor dem Festival“. Es galt, wenigstens versuchsweise und vorerst auch nur für ein einziges Mal, den Bann zu brechen, den Richard Wagner selbst über seine Jugendsünden verhängt hatte, indem er erst die nach 1840 komponierten zehn Musikdramen, vom „Fliegenden Holländer“ bis zum „Parsifal“, für „bayreuthwürdig“ erklärte. Diese künstlerische Selbst-Auslese, in solcher Unbedingtheit einzigartig in der Musikgeschichte, hatte immerhin ein ganzes Jahrhundert länger Bestand als die Schutzfrist für „Parsifal“, ein Werk, das Wagner für alle Zeiten dem Festspielhaus hatte vorbehalten wollen. Dorthin, ins Bayreuther Heiligtum, durfte die Frühwerk-Trias aus „Rienzi“, „Liebesverbot“ und den „Feen“ nun allerdings noch immer nicht.
Nach der akustisch wie szenisch problematischen „Rienzi“-Premiere (F.A.Z. vom 10.Juli) fanden auch die Aufführungen des Opernerstlings „Die Feen“ von 1834 und der zwei Jahre später vollendeten Komödie „Das Liebesverbot“ auf einer provisorischen Spielstätte in der Oberfrankenhalle statt, wieder in Kooperation mit der Oper Leipzig und dem Gewandhausorchester. Beim „Liebesverbot“ steuerte Aron Stiehl die Inszenierung bei. „Die Feen“ wurden lediglich konzertant gespielt, obwohl die Oper Leipzig seit Mitte Februar eine szenische Produktion im Repertoire hat. Diese Halbherzigkeit - leider nicht die einzige in den drei Tagen - war insofern doppelt bedauerlich, als sich ausgerechnet „Die Feen“ als das aufschlussreichste, auch musikalisch unproblematischste der drei Werke entpuppte.
Faszinierendes Konglomerat
Wagner ist Anfang zwanzig, als er sich diese herrlich konfuse Opernfabel nach Motiven aus „Sommernachtstraum“, „Zauberflöte“ und einer Vorlage von Carlo Gozzi zusammenbastelt. Wie bei seiner blutrünstigen Teenager-Tragödie „Leubald“ finden sich darin zahllose Handlungsmomente, die später Geschaffenes vorwegnehmen, etwa ein (umgekehrtes) Frageverbot der Fee Ada an ihren Geliebten Arindal oder die Idee der Erlösung durch Hingabe und bedingungslose Liebe. Das Gegeneinander von Geister- und Menschenreich und das Motiv der Feenherrscherin, die zu Stein werden muss, weisen zugleich voraus auf Hofmannsthals Libretto zur „Frau ohne Schatten“. Anders freilich als Richard Strauss, achtzig Jahre später, ist der junge Wagner noch nicht in der Lage, Feen- und Menschenwelt kompositorisch deutlich voneinander zu trennen. Die Partitur der „Feen“ ist gleichwohl ein faszinierendes Konglomerat unterschiedlichster Stile und Einflüsse, die belegen, wie umfassend sich der Musikdramatiker in spe mit der Opern- und Oratorientradition seiner Zeit vertraut gemacht hatte.
Dürftige kompositorische Substanz
Das Gewandhausorchester hatte in seiner langen Geschichte erheblichen Anteil an dieser Tradition. Vielleicht ist es deshalb kein Zufall, dass die Musiker unter der Leitung von Ulf Schirmer auch heute noch ein waches Gespür besitzen für all die Anleihen, die Wagner „woanders“ hergenommen hat: von Frühromantikern wie Carl Maria von Weber und Heinrich Marschner, auch bereits von Mendelssohn, möglicherweise von Carl Loewe, zuerst und vor allem aber von Beethoven. Namentlich die Schlüsse der ersten beiden „Feen“-Akte verdanken dem „Fidelio“-Finale ihr mitreißendes Pathos - und die Sopranistin Elisabet Strid, die überragende Sängerin der vokal ansonsten mäßigen Aufführung, erscheint in der von Hornrufen begleiteten E-Dur-Arie der Ada im zweiten Aufzug nicht zufällig wie eine zweite Leonore.
Was allerdings bleibt an künstlerischem Gehalt, sieht man vom reizvollen Zitate-Raten und den vereinzelten Ahnungen späterer „Holländer“- und „Lohengrin“-Stellen ab? Diese Frage stellt sich noch ungleich dringlicher beim „Liebesverbot“. Wagner vollzog in diesem Stück 1836 eine überraschende Wende zur italienischen Oper à la Rossini und Donizetti. Aron Stiehl deutet die freie Adaption der Shakespeare-Komödie „Maß für Maß“ mit leichter Hand (und einigen Slapstick-Einlagen) als humoristische Vorwegnahme des „Tannhäuser“-Konflikts zwischen Eros, Vernunft und Glauben. Weder die tempo- und bilderreiche Inszenierung noch das (weniger temporeiche) Dirigat von Constantin Trinks können jedoch darüber hinwegtäuschen, dass die kompositorische Substanz des Werks eher dürftig ist. Trotz Kürzungen von gut dreißig Minuten trägt sie kaum über die Spieldauer von rund drei Stunden.
Hatte Richard Wagner am Ende also doch recht mit seinem Frühwerk-Bann? Von den drei Jugendwerken, so das Fazit der Bayreuther Aufführungsserie, wäre allenfalls der „Rienzi“ auf der Bühne des Festspielhauses vorstellbar. Mit einem entsprechend beherzten Regiezugriff sind - wie Produktionen andernorts längst gezeigt haben - auch die beiden früheren Stücke für kleine und mittlere Opernhäuser zu retten, kaum aber für den Bayreuther Graben; dessen akustische Bedingungen, abgestimmt auf Wagners späte Musikdramen, würden diese Partituren schlicht überfordern. Akustisch wie atmosphärisch ist freilich auch die Ausweichspielstätte in der Oberfrankenhalle keine glückliche Lösung - solange die nicht gefunden ist, bleibt Wagners Frühwerk in Bayreuth tatsächlich heimatlos.