Queen Esther Marrow auf Tour : Gesang, Gebet und geistige Waffen
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Legitime Nachfolgerin von Mahalia Jackson: Queen Esther Marrow, hinter ihr die Harlem Gospel Singers Bild: Sven Darmer.de
Sie sang Gospel für Martin Luther King und Barack Obama, jetzt nimmt sie Abschied von ihren legendären Harlem Gospel Singers: Eine Begegnung mit Queen Esther Marrow.
Was für ein Name: Queen Esther. Aber kein Pseudonym. Die Mutter wusste schon, was sie tat, als sie ihrer Tochter bei der Geburt vor gut fünfundsiebzig Jahren in Newport News, einer geschichtsträchtigen Region in Virginia, diesen Namen gab. Sie dachte an das Buch Esther aus dem Alten Testament und hoffte wohl, dass eines Tages ein König erscheinen möge, dem ihre Queen Esther – in ähnlicher Weise, wie es die Bibel berichtete – Ratgeber und Helfer in politisch-religiösen Krisenzeiten sein könnte.
Er kam tatsächlich. Und Queen Esther Marrow war mit ihrem Talent und ihrer Botschaft an seiner Seite. Wie Harry Belafonte und Sidney Poitier, Tony Bennett, Dick Gregory, Sammy Davis Jr., Nina Simone und eine ganze Phalanx wacher Künstler unterstützte sie in den sechziger Jahren Martin Luther King bei seinen Auftritten und Märschen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.
Für Trump singt sie nicht
An der Seite von Mahalia Jackson sang sie ihr inbrünstiges „We Shall Overcome“, jenen alten Gospelsong, den Pete Seeger wiederentdeckt und Joan Baez als neue Hymne popularisiert hatte. Später trat Queen Esther Marrow im Weißen Haus vor amerikanischen Präsidenten auf, vor Ronald Reagan, Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama. Und was wird passieren, sollte Donald Trump sie einladen? „Ich werde die Einladung ablehnen.“
Queen Esther Marrow, die legitime Nachfolgerin von Mahalia Jackson, hat gerade ihre letzte Tournee mit den Harlem Gospel Singers begonnen, die sie vor fünfundzwanzig Jahren gegründet hatte. Sie sitzt im Proberaum des Hafenhotels im brandenburgischen Rheinsberg, wo die Proben der neuen Show stattfinden, und spricht über die Situation in Amerika: „Es ist erschreckend. All das, was wir in der Zeit mit Dr. King und davor durchlebt haben, kommt nun wieder zurück. In der Gegend, wo ich wohne, hissen manche wieder die Flagge der Konföderierten. Freunde von mir sind im Peninsula District von Newport News tagsüber in ein Restaurant gegangen, und an der Bar saß ein Mann, der offen eine Waffe trug. Es ist nicht verboten, in ein Geschäft zu gehen, eine Waffe zu kaufen und sie offen zu tragen. Aber es ist bedrohlich. Meine Freunde sind aufgestanden und haben das Restaurant verlassen.“
Queen Esther sagt, Trump habe die Büchse der Pandora geöffnet und demonstriert, dass es okay sei, ungeniert zu provozieren und zu zeigen, was man von anderen hält: „Es ist eine Schande, dass er gewählt wurde.“
Resignation aber war nie die Triebfeder der politisch bewussten Künstlerin. Ihre Gospelmusik ist immer Gesang, Gebet und geistige Waffe in einem gewesen. Und bisweilen war sie auch wie ein Punch von Joe Louis. In diesen Hymnen hat sich das traditionelle Kommunikationsnetz aus Fragen und Antworten zwischen dem Prediger und der Gemeinde klingend erhalten. Aber die Form ist nicht die von Lesung und andächtigem Lauschen, wie man es aus Europas Kirchen kennt. Rede erzeugt hier Gegenrede, jeder Ruf findet seine kollektiv geäußerte Bestätigung, individuelle Töne wachsen zu einer vielstimmigen Polyphonie. Und im heilsamen Durcheinander aus Händeklatschen, Jubelgesang und ekstatischen Schreien spürt man, was diese Musik ausmacht.
Eine sentimentale Reise für Seele und Geist
Gospel ist Seelsorge, Soulfood im wahrsten Sinne des Wortes. Wehmut schwingt in dieser Abschiedstournee mit. Eine „Sentimental Journey“ ist es für Queen Esther. Dafür hat sie das Beste aus einem Vierteljahrhundert Harlem Gospel Singers zusammengestellt. Spirituals wie Mahalia Jacksons grandiose Klage „Didn’t It Rain“ oder „High and Higher“ sind dabei, auch Jazzballaden wie „Georgia On My Mind“, Hoagy Carmichaels Liebeserklärung an den tiefen Süden, schließlich moderne Gospelsongs wie „Goin’ Up Yonder“ und alte geistliche Lieder wie „Amazing Grace“, ursprünglich die prototypische Saulus-Paulus-Verwandlung eines Sklaventreibers.
Queen Esther Marrow wurde in den 55 Jahren ihrer künstlerischen Karriere zur größten Gospelsängerin Amerikas. Aber ein Reinheitsgebot gab es bei ihr nie. Es wäre auch verwunderlich, denn im Vergleich zum Spiritual zeichnet sich Gospel ja gerade dadurch aus, dass er alles Charakteristische aus der afroamerikanischen Klangwelt absorbiert, von der suggestiven Harmonik des Blues und den rollenden Rhythmen des Boogie-Woogie bis zu den schlingernden Phrasierungen des Jazz und den zornigen Gebärden des aktuellen Rap. Das alles wird dann ein brodelnder Gottesdienst.
Wie viele große afroamerikanische Künstler hat Queen Esther schon als Kind in Kirchenchören gesungen, kam dann nach New York, sang eher unauffällig in Bars und Jazzclubs und wurde Mitte der sechziger Jahre von Duke Ellington für seine „Sacred Concerts“ in der Grace Cathedrale von San Francisco entdeckt. Danach begann ihre Jazzkarriere mit Musikern aus dem Miles-Davis-Kreis. Sie war Partnerin von Chick Corea, Joe Zawinul und Kenny Barron, sang beim Newport Jazz Festival, trat in den traditionsreichen New Yorker Clubs auf, ging mit Harry Belafonte und Bob Dylan auf Tournee und gründete schließlich mit Hilfe des deutschen Produzenten Michael Brenner 1991 in Mannheim, mittlerweile die heimliche Popmetropole des Kontinents, für eine einzige Produktion die Harlem Gospel Singers. Aus den acht Wochen der ersten Tournee wurden fünfundzwanzig Jahre Gospelgeschichte mit internationaler Ausstrahlung.
Was kommt danach? Queen Esther Marrow nimmt Abschied von ihrer Gospeltruppe, aber nicht von der Musik und der Frohen Botschaft. Sie wird wieder mehr Jazz singen und ein Buch über ihr Leben schreiben. Mahalia Jackson bekommt darin wohl einen Ehrenplatz, auch Martin Luther King. Die Audienz bei Johannes Paul II. wird vorkommen, Bill Clinton, der musikalischste Bewohner des Weißen Hauses, und Barack Obama: „Dass zu meinen Lebzeiten ein Schwarzer im Weißen Haus sitzen würde, das war unfassbar. Was Obama sagte und wofür er stand, das machte mich nur glücklich.“ Die Zeiten haben sich geändert, aber die Hoffnung ist geblieben.