Premiere im Gorki Theater : Schauspiel mit Risiken und Nebenwirkungen
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Man blinzelt durch die Sonnenbrille und bewältigt die Ängste der Zuschauer als Stellvertreter: Szene aus Fritz Katers Stück „demenz depression und revolution“ Bild: Bettina Stöß
Zähe Betroffenheitsdramatik: Armin Petras inszeniert die Uraufführung seines Stücks „demenz depression und revolution“. Das Ergebnis ist mehr Therapieform als Schauspiel.
Wovor fürchtet sich der heutige Mensch am meisten? Nach Ansicht des Autors Fritz Kater, hinter dem sich bekanntlich der Regisseur Armin Petras verbirgt, sind das folgende Phänomene, denen er sogleich sein neues Stück gewidmet hat: „demenz depression und revolution“. Obwohl er es im Untertitel kühl als „studie zu 3 mythen der gegenwart“ bezeichnet, lässt er es darin rührend menscheln, schleimen, greinen. Da weiß der eine seinen Namen nicht mehr, die andere erkennt ihren Vater nicht, und die Ärztin hat ein schlechtes Gefühl bei der Zwangsernährung ihrer Patienten.
Der namenlose depressive Torwart, für den Robert Enke, der 2009 Selbstmord beging, als Vorbild diente, sucht das Glück und findet es nur in seltensten Augenblicken: „er nahm tabletten immerhin die nebenwirkungen funktionierten.“ Der letzte Teil, „Revolution“, kreist am Beispiel eines Künstlers während des Prager Frühlings um das Verhältnis von politischer und privater Sphäre: „ich liege in fremden betten rum mache dort immer dasselbe während überall über freiheit gestritten wird.“
Die singenden Senioren kommen
Die Uraufführung im Berliner Maxim Gorki Theater erfolgt auf einer halbwegs leeren Bühne mit ein paar Requisiten und den hübsch wechselnden Kostümen von Patricia Talacko. Als sein eigener Regisseur konzentriert sich Armin Petras auf den Text und die sechs Schauspieler, und das ist leider in jeder Hinsicht zu wenig. Denn der eine entpuppt sich bald als zähe Betroffenheitsdramatik mit Trauerrand, aus der die anderen verständlicherweise kein darstellerisches Kapital zu schlagen vermögen.
Begleitet von Miles Perkin an verschiedenen Instrumenten sieht man ihnen so vor allem das Problembewusstsein an, mit dem sie sich die Themenkomplexe aufrichtig-unverdrossen anverwandelt haben. Mit grauen Perücken, umgeschnallten Fettbäuchen und heftig zitternden Gliedmaßen treten sie mal brummelnd, mal kreischend als demente Senioren auf, die sich jedoch auch zu einer wackelnden Chorus Line formieren und lautstark „Help!“ von den Beatles singen können. Peter Kurth gibt die überforderte Führungskraft, deren Hirn vermutlich der permanente Stress zerstört hat. „Was ist, wenn dann was ist?“, artikuliert einmal jemand die Sorge, erkrankte Angehörige allein im Haus zu lassen.
Therapeutisch interessant, inszenatorisch unergiebig
Aenne Schwarz und Michael Klammer müssen über den Torwart und seine Frau meist in der dritten Person sprechen und tun das vor einer raumhohen hellen Papierwand, auf der kleine Löcher die Umrisse eines Fußballtores andeuten. Er trägt einen schwarzen Anzug, macht nervös das Jackett auf und zu, nestelt gern an seinem Schlips herum, und sie strahlt ihn dabei an. Wird die Not des Torwarts später besonders groß, fängt es zu nieseln an und die Papierwand wird durchfeuchtet. Er zieht sich bis auf die Unterhose aus, reißt sich einen Weg durch die tropfnasse Begrenzung frei - und bleibt doch wie seine Frau einsam im Regen stehen. Vom frühen Tod der gemeinsamen Tochter bis zur sportlichen Berg-und-Tal-Fahrt wird die Biographie ziemlich rührselig direkt ins Publikum erzählt, wenngleich zumindest gelegentlich pantomimisch, vom Tonfall und vom Gestus her amüsant aufgebrochen.
Armin Petras’ Ansinnen, Ängste als überwindbar zu zeigen, indem sich die Akteure diese stellvertretend für die Zuschauer einverleiben, ist therapeutisch vielleicht interessant, inszenatorisch allerdings ausgesprochen unergiebig und manchmal in akuter Kitschgefahr. Anders verhält es sich mit der Künstlerproblematik in „Revolution“ und dem Scheitern von Aufbruchshoffnungen, die weniger auf die Tränendrüse drückt und die Beschränktheit ihrer Diagnose nicht kaschiert. Frei nach Aufzeichnungen des weitgehend vergessenen tschechischen Autors und Filmregisseurs Pavel Jurácek (1935 bis 1989) wird hier über Liebe, Aufstand und Resignation diskutiert, bis die Drehbühne in Bewegung gerät, sich Identitäten und Geschlechtergrenzen auflösen und keiner mehr weiß, wer er ist und warum. Cristin König und Svenja Liesau wechseln sich mit Brille und Cordhose in der Rolle des Pavel ab, während Thomas Lawinky mit Sommerkleid, Pelzstola und Rollkoffer als steinreiche Ausländerin durch die Sonnenbrille blinzelt.
Dichter Nebel wallt herein, wenn alle drei den Auftritt der Punkband Pussy Riot in der Moskauer Erlöser-Kathedrale im Februar 2012 zitieren. Als am Schluss die Truppen des Warschauer Pakts den Prager Frühling beendet haben, sitzt Lawinky im Frauengewand an der Rampe und bedeckt sein ganzes Gesicht mit einer lehmartigen Masse, auf die ihm schwarze Augen gemalt werden, die sofort zerlaufen und als leere Höhlen erscheinen, als wolle er, wie Ödipus, die Welt nicht länger sehen. Erst nach rund dreieinhalb Stunden befreit sich die Aufführung damit von ihrem trockenen Rechercheballast samt theatralischem Frontalunterricht - aber da ist sie dann auch schon aus und vorbei und letztlich kümmerlich verpufft.