Trifonov über Rachmaninow : Das ist tiefreligiöse Musik eines Zweiflers
- -Aktualisiert am
Daniil Trifonov bei einem Konzert in der Moskauer Zaryadye Konzerthalle Bild: Picture-Alliance
Daniil Trifonov setzt seine Beschäftigung mit Sergej Rachmaninow fort. Dessen Werk, sagt er, verlange Kenntnis der alten russischen Glockenkunst und vor allem emotionale Reife. Ein Gespräch.
Können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit Sergej Rachmaninows Musik erinnern?
Es hat eine Weile gedauert, bis ich überhaupt dieser Musik näherkam. Mein Vater ist Komponist. Und als er sich mit dem Synthesizer beschäftigte, hat mich das Technische anfangs viel mehr interessiert als das Musikalische. Das Stück, das mich zur klassischen Musik brachte, war das Klavierkonzert von Alexander Skrjabin. Das zog mich vom ersten Augenblick an, und ich spiele es bis heute gern. Zu Rachmaninow kam ich relativ spät, erst mit einundzwanzig. Das erste Stück, das ich von ihm spielte, war die Rhapsodie auf ein Thema von Paganini für Klavier und Orchester. Als mich mein Lehrer Sergej Babayan 2011 für den Tschaikowsky-Wettbewerb vorbereitete und ich das dritte Klavierkonzert von Rachmaninow einstudieren wollte, sagte er zu mir: „Wenn du das machst, dann auf dein eigenes Risiko.“ Also spielte ich stattdessen ein Chopin-Konzert. Er hatte recht. Die Musik von Rachmaninow verlangt eine gewisse Reife, sowohl emotional als auch physisch. Es gibt Passagen in seiner Musik, die – wenn man sie zu früh spielt – zur Verinnerlichung schlechter Angewohnheiten führen können.
Welche zum Beispiel?
Mit den Schultern herumzutanzen. Man braucht für Rachmaninows Musik verschiedene pianistische Techniken, die herauszufinden mich selbst einige Zeit gekostet hat. Ich übe sein zweites Klavierkonzert bis heute gern unter Wasser, im Swimmingpool. Der Klang in dem Konzert muss Wärme haben und zugleich leuchten. Es darf keine allzu scharfen Attacken geben. Ich brauche dazu feiner abgestufte Körperbewegungen. Da hilft das Üben unter Wasser. Sie aktivieren andere Muskelschichten dabei, spielen auch stärker aus der Wirbelsäule und den Schulterblättern heraus.
Benutzen Sie dabei eine Tastatur?
Nein. Ich hab die Musik ja im Kopf und führe die Spielbewegungen in einem verlangsamten Tempo aus. Das ist jedenfalls mein Weg für das zweite Klavierkonzert. Das dritte und vierte Konzert verlangen nach anderen Methoden. Aber es gibt einen ähnlichen Prozess mit Brahms. Ich habe seine Musik bislang noch nicht oft gespielt, aber ich will sie spielen, besonders seine Kammermusik und seine Lieder.
Sie sprachen aber auch über eine emotionale Reife, die Rachmaninows Musik verlange. Worin liegt die?
Seine Musik hat Dimensionen einer tiefen Tragödie. Das ist sprachlich schwer zu fassen. Ich kann es nur technisch versuchen: Rachmaninows musikalische Gedanken sind unglaublich lang. Seine Phrasen beginnen, aber man kann schwer sagen, wo sie enden. Sie blättern Seite um Seite um, und es ist immer noch die Entwicklung ein und derselben Melodie, desselben musikalischen Materials. Man muss bei solch ausgedehnten Dimensionen als Interpret einen Überblick über das Werk gewinnen. Bevor ich Rachmaninow spielte, habe ich mich viel mit Skrjabin beschäftigt. Seine Musik ist vollkommen anders: extrem detailliert, voller Änderungen von Takt zu Takt, mit spontanen Farbumschlägen, fast neurotischen Wechseln verschiedener Einzelheiten. Rachmaninow denkt da in ganz anderen Dimensionen.