Parsifal-Inszenierung in Wien : Strafkolonie Montsalvat
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Die Opernsaison ist eröffnet: Parsifal auf der Bühne in der Wiener Staatsoper. Bild: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Kirill Serebrennikow darf seine Heimat wegen einer Bewährungsstrafe nicht verlassen. Jetzt hat er Richard Wagners „Parsifal“ in Wien per Videoschalte aus Russland inszeniert.
Durch Mitleid wissend, der reine Tor“, „zum Raum wird hier die Zeit“, „Erlösung dem Erlöser“: Kaum ein anderes musikdramatisches Werk der Musikgeschichte hat sich durch solch ikonisch gewordene Aussagen ins kollektive Gedächtnis eingebrannt wie Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“. Zahlreiche Theaterleute fühlten sich schon von diesen Sätzen kreativ angezogen. Auch der russische Regisseur Kirill Serebrennikow gewann aus ihnen sein Konzept für eine Neuinszenierung von Wagners letztem Musikdrama an der Wiener Staatsoper. Sein „Parsifal“ spielt hauptsächlich in einem Straflager, an das sich die gealterte Titelfigur auf einer Bank sitzend erinnert. Besser hätte es wohl Jonas Kaufmann mit seinem nachgedunkelten, eindrucksvoll reifen und wenig heroischen Tenor nicht treffen können. Sein früheres Ich verkörpert indes der russische Schauspieler Nikolay Sidorenko.
Beklemmend, düster und detailreich erzählt Serebrennikow von dem sich stets unverändert wiederholenden Tagesablauf in der Haftanstalt Monsalvat, von adrenalingesteuerten Männern, von Misshandlungen und Faustkämpfen, von wegschauenden und korrupten Wärtern. Der von allen geschätzte Freiheitskämpfer Amfortas ist schizophren und verletzt sich permanent selbst. Gurnemanz hingegen ist das geheime Machtzentrum der Häftlingsbruderschaft, kein sich prügelnder Wilder, sondern ein „Ehrenmann“, den Georg Zeppenfeld mit klangschönem und farbenreichem Bass sowie eleganten Gesangsbögen geradezu sympathisch werden lässt. Er berichtet den Insassen von Amfortas’ Schicksal – und tätowiert Kreuz, Speer, Kelch und andere Symbole in ihre Häute, zweifelsohne eine Anspielung an Franz Kafkas „Strafkolonie“.
Kurzer Prozess in der Dusche
In diese Männergesellschaft tritt das junge, durchtrainierte Schauspiel-Double des Parsifal und begeht gleich bei Haftantritt einen Mord: Er schneidet dem Häftling „Schwan“ mit einer Rasierklinge die Kehle durch, nachdem dieser sich ihm homosexuell in der Gemeinschaftsdusche genähert hat. Die Gralsenthüllung selbst gestaltet Serebrennikow im Zeitraffer als Folge von mehreren Tagen. „Zum Raum wird hier die Zeit“ bedeutet im Gefängnisalltag: essen, schlafen, prügeln. Oberhalb des von Gitterstäben und Gemeinschaftszellen umrandeten Gefängnishofes sind auf drei Projektionsfeldern Fotos und Videoclips der Häftlinge in Dauerschleife zu sehen. Sie stammen aus der Kamera der Journalistin Kundry.
Zweifellos gelingt Serebrennikow dadurch eine beeindruckende Exposition, er beschwört Bilderwelten, die einen nicht mehr loslassen. Doch mögen die Aufnahmen noch so verstörend sein – man sieht unter anderem einen Häftling, der sich wie der russische Aktionskünstler Piotr Pawlenski den Mund zunäht –, nur selten gewinnt das Material dramaturgische Relevanz außerhalb einer illustrativen Bebilderung des Grauens.