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Neue Opern in Amsterdam : Alte weiße Männer sind auch nicht rechtlos

Im zweiten Akt von Manfred Trojahns neuer Oper: Orphée (Andrè Schuen) kniet bei Eurydice (Julia Kleiter) vor Christoph Hetzers Totenreich-Bake. Bild: Ruth Walz

Starke Gefühle wollen die Schüler, Diversität und Dekolonialisierung verlangen die Studenten. Wie soll man da noch die Kunst in der Oper verteidigen? Das Opera Forward Festival in Amsterdam sucht nach Antworten.

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          Der Oper stehen ungemütliche Zeiten bevor. Besucht man das erfrischende Opera Forward Festival an der Niederländischen Nationaloper in Amsterdam und unterhält sich mit deren Intendantin Sophie de Lint, spürt man die Frontlinien künftiger Kämpfe um die Kunst bereits schmerzhaft. „Als ich ‚Eurydice. Die Liebenden, blind‘ von Manfred Trojahn aufs Programm gesetzt habe, bekam ich nach der Uraufführung wütende Briefe“, berichtet de Lint im Gespräch mit dieser Zeitung. Zu altmeisterlich, zu voraussetzungsreich und eurozentrisch sei das Werk in seinem Bezug auf den antiken Mythos, auf vierhundert Jahre Operngeschichte, auf Rainer Maria Rilkes „Sonette an Orpheus“. Untragbar sei vor allem das künstlerische Team aus „lauter alten weißen Männern“. So etwas könne man „heute nicht mehr machen“. Die rhetorischen Steine, mit denen man hier der Oper die Fenster einschmeißen will, fliegen aus Richtung eines aggressiven akademischen Milieus von Studenten an den Universitäten und Kunstschulen. Sie haben die Parolen von Diversität, Zugänglichkeit und Dekolonialisierung als Munition entdeckt, um die Kunstautonomie sturmreif zu schießen.

          Jan Brachmann
          Redakteur im Feuilleton.

          Sophie de Lint drückt das freilich milder aus. Sie versucht, klug und deeskalierend auf diesen Druck zu reagieren, indem sie auf die jungen Kritiker zugeht. „Wir haben an der Oper den Studenten der Kunstschulen Gelegenheit gegeben, uns zu zeigen, wie sie arbeiten wollen. Diese jungen Leute weisen uns den Weg in die Zukunft der Oper. Sie machen uns klar, in welchen Formen Geschichten künftig erzählt werden sollen und auf welche Botschaften es ankommt. Wenn wir gar nicht auf diese Kritik hören, werden wir kein neues Publikum mehr für die Oper gewinnen.“

          Der Dirigent Lorenzo Viotti, neu berufener Musikdirektor, bekräftigt die Aussagen seiner Intendantin während der Vorstellung des Saisonprogramms für 2022/23: „In Gesprächen mit Jugendlichen, vor allem bei öffentlichen Proben, habe ich gemerkt: Sie brauchen starke Gefühle. Sie müssen durch die Erzählform oder die Geschichte selbst emotional angesprochen werden. Sie suchen das. Vielleicht sogar den Schock. Und wenn sie das nicht finden, verweigern sie sich der Oper total.“ Doch Sophie de Lint setzt später nach: „Für mich war auch klar, ich lasse mir so etwas wie Manfred Trojahns Oper nicht nehmen. Das muss sein Recht und seinen Platz behalten.“ Neue Feindlichkeiten als Antwort auf alte seien mit ihr nicht zu haben. Als eine berühmte Regisseurin an ihrem Haus Seminare zur Stärkung von Frauen in der Theaterarbeit abhalten wollte, habe sich de Lint, wie sie sagt, dagegengestellt: „So etwas gibt es bei mir nicht. Ich trenne nicht zwischen Männern und Frauen, wenn es um ‚Empowerment‘ geht.“

          Szene aus „Denis & Katya“ von Philip Venables und Ted Huffman
          Szene aus „Denis & Katya“ von Philip Venables und Ted Huffman : Bild: Milagro Elstak

          Wie sehen nun die neuen Erzählformen mit starken Gefühlen aus? Der Komponist Philip Venables hat zusammen mit dem Regisseur Ted Huffman in „Denis & Katya“ einen authentischen Fall von 2016 aufgegriffen: Zwei fünfzehnjährige russische Schüler waren vor ihren teils gewalttätigen Eltern geflohen, hatten sich schwer bewaffnet in ein Haus zurückgezogen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Sie filmten ihre Flucht, ihre Gewalt, ihre Auseinandersetzung mit der Polizei und stellten alles ins Internet, verbunden mit Live-Chats. Bis zum tödlichen Ende. Sehr sensibel verweigern Huffman und Venables jede Bebilderung des Geschehens. Sie erzählen, statt zu zeigen. Die zwei Darsteller Michael Wilmering und Inna Demenkova wechseln, in epischer Brechung, ständig die Rollen. Die Musik von vier Cellisten freilich tut nicht mehr, als die jeweilige Affektsituation zu definieren oder mit Tonwiederholungen das Tippen von Textnachrichten nachzumalen. Das Stück ist ebenso leicht zugänglich, wie es schockiert. Gattungstechnisch mag es an die Mono-Opern des sowjetischen Komponisten Grigori Frid („Das Tagebuch der Anne Frank“, „Briefe des Van Gogh“) anknüpfen, ohne allerdings deren musikalische Ansprüche zu stellen. Die Musik macht sich klein zugunsten des pädagogischen Effekts. Das Ergebnis ist eine Art „Peter und der Wolf“ für pubertierende Online-Natives.

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