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Komponist Eugen Engel : Unerhörte Liebe zu Deutschland

  • -Aktualisiert am

Komponist und Textilfabrikant: Eugen Engel im Berliner Tiergarten Bild: Familienarchiv Engel

Folge eines Berliner Stolpersteins: Der Komponist und Kaufmann Eugen Engel wurde im KZ Sobibor ermordet. In Magdeburg wird nun bald seine Oper „Grete Minde“ uraufgeführt.

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          Eine Oper kehrt nach Deutschland zurück. Seit 1941 lag die Partitur des Stückes in einem Karton in Kalifornien, gemeinsam mit den Noten eines Streichquartetts, mit mehreren Liedern und einigen Briefen. Dass der Inhalt des Kartons so lange keine Beachtung fand, hat mit der bitteren Geschichte seines Schöpfers zu tun. Eugen Engel, Kaufmann und Komponist jüdischer Abstammung, wurde 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Seiner Tochter Eva aber gelang die Flucht in die Vereinigten Staaten – mit einem Karton voller Werke ihres Vaters und einer Vergangenheit, an die die Tochter nicht mehr rühren mochte.

          Eva starb 2006, woraufhin sich ihre Tochter, also die Enkelin des Komponisten, mit dem Großvater zu befassen begann. Kontakte nach Deutschland entstanden (Engel hatte in Berlin gelebt), die Teilnahme am „Stolpersteine“-Projekt des Künstlers Gunter Demnig wurde in die Wege geleitet, ein Bekannter der Dirigentin Anna Skryleva wurde dabei auf den Komponisten aufmerksam. Der Klavierauszug gelangte in Skrylevas Hände, damals, 2019, bereitete sie sich auf ihre neue Aufgabe als Generalmusikdirektorin in Magdeburg vor. Das Stück „Grete Minde“ nach Theodor Fontanes Erzählung erschien ihr beim Durchspielen vielversprechend, der Blick in die Partitur, die ihr bald danach aus Kalifornien zugeschickt wurde, bestätigte die Vermutung, es mit einem groß angelegten Bühnenwerk spätromantischer Prägung zu tun zu haben.

          Stets mit Partitur bewaffnet in die Oper

          Die Generalintendantin des Theaters Magdeburg, Karen Stone, griff schließlich zu, Aufführungsmaterial wurde aus der handschriftlichen, sauberen Partitur des Komponisten extrahiert und eine gewaltige Bühnenmaschinerie organisiert. Zum Orchester in Richard-Strauss-Größe, mit dreifachen Holzbläsern, sechs Hörnern, Celesta und Glockenspiel kommt noch Bühnenmusik hinzu: Instrumentalgruppen, Kirchenglocken, Orgelspiel, dazu dreizehn Gesangsrollen nebst Chor, der zahlreiche Auftritte erhält. Auf einen außerdem vorgesehenen Kinderchor muss in Magdeburg coronabedingt verzichtet werden, es übernehmen die Soprane. Größenwahn eines Komponisten oder unbedingter Ausdruckswille?

          Die Uraufführung des knapp dreistündigen Werks an diesem Sonntag (am 19. Februar sendet Deutschlandfunk Kultur um 19 Uhr einen Mitschnitt) wird bei der Beantwortung der Frage helfen. Beim Blick in die Partitur zeigt sich jedenfalls ein Komponist, der differenziert zu instrumentieren versteht, der sicher mit den Effekten des Musiktheaters umgeht und seinen Vorbildern folgt: Richard Wagner vor allem, dessen „Meistersinger“ immer wieder durch die Partitur von „Grete Minde“ durchscheinen bis hin zum mit Fußnote ausgewiesenen Zitat. Außerdem Richard Strauss, dessen Kunst der vielschichtigen Klangfarbenkomposition Engel erkennbar als Vorlage nimmt. Als sich Engel 1936 bei der Suche nach einer Aufführungsmöglichkeit an Bruno Walter wandte, bescheinigte der ihm „musikalische Kultur“ und „fachmännisches Können“ (um mit dem Verweis auf einen fehlenden „eigenartigen“, persönlichen Ton eine weitere Verwendung für Engels Stück zugleich abzulehnen).

          Wo hat Eugen Engel das erworben? Es ist eine von vielen Fragen, die sich kaum mehr beantworten lassen, auch nicht von Ulrike Schröder, die sich als Chefdramaturgin des Magdeburger Theaters auf Spurensuche begeben hat. Es gebe Hinweise, dass er in Berlin bei Kapellmeistern oder Korrepetitoren Unterricht nahm, ansonsten müsse man sich wohl an die Familienüberlieferung halten, dass er eben musikalisch gewesen sei und stets mit Partitur bewaffnet in die Oper gegangen sei. Als die Familie 1892 aus dem ostpreußischen Widminnen (dem heute polnischen Wydminy) nach Berlin übersiedelte, bot sich dem Siebzehnjährigen jedenfalls Gelegenheit, die Oper kennenzulernen. Im Brotberuf wurde er wie sein Vater Kaufmann.

          Der Handel mit Stoffen für Damenmäntel wurde sein Spezialgebiet, die freie Zeit galt der Komposition und wohl bald dem opus magnum: einer abendfüllenden Oper, die er um 1933, achtundfünfzigjährig, abschloss. Wann hatte er damit begonnen? Man weiß es nicht. Im Brief an Bruno Walter, der die Übersendung der Partitur begleitete, schreibt Engel, dass die Klangsprache des ersten Aktes nicht mehr so recht seinem aktuellen Stil entspreche. Was Rückschlüsse ermöglicht, dass Engel eine erhebliche Weile mit seiner Oper zugebracht haben könnte. Ohne Auftrag, ohne Aussicht auf eine Uraufführung, aber mit einer offenbar nicht versiegenden Liebe zur Musik, zur Gattung Oper und ganz besonders zur Kultur des deutschen Sprachraums.

          Wie der Kontakt mit Bodenstedt zustande kam, bleibt unklar

          In romantischer Tradition (darin den „Meistersingern“ folgend) wird in „Grete Minde“ eine mittelalterliche Welt beschworen, aus der Volkslieder, Choräle und Tänze in die Musik einfließen und mit blühenden Holunderbüschen, pittoresk platzierten Bänkchen und Fachwerkhäusern schon in den Regieanweisungen ein Bild deutscher Butzenscheiben-Romantik gezeichnet wird. Dass später unter dem Lieblichen bald das Bösartige zum Vorschein kommt – auch das ist nahe bei den „Meistersingern“. Grete Minde wird, wie von Fontane ersonnen, in einem Akt himmelschreiender Ungerechtigkeit ihr Erbe verwehrt, woraufhin sie ihre Heimatstadt Tangermünde anzündet und schließlich im selbstgelegten Feuer umkommt. Fontanes elegant distanzierte Menschenfreundlichkeit hat der Librettist Hans Bodenstedt weitgehend hinter sich gelassen und mit Sinn für Effekte und in der Wagner’schen Tradition altertümelnder Sprache ein operntaugliches Libretto verfasst.

          Wie der Kontakt mit Bodenstedt zustande kam, bleibt ebenso unklar wie die Frage, ob sich beide nach 1933 noch etwas zu sagen gehabt hätten. Bodenstedt, einer der Pioniere des deutschen Rundfunks, verlegte nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten rassentheoretische Editionen wie „Zucht und Sitte“, „Blut und Boden“, was nach dem Krieg kein Hinderungsgrund war, um in den Nordwestdeutschen Rundfunk übernommen zu werden. Dort machte Bodenstedt dann Kinderfunk und erfand die populäre Figur des „Funkheinzelmanns“.

          Eugen Engel, nachdem er mit „Grete Minde“ im Jahr der Machtergreifung seine große Liebeserklärung an die deutsche Kultur abgeschlossen hatte, wollte die Berliner Heimat zunächst nicht verlassen, bemühte sich zunehmend im Ausland um eine Uraufführung seiner Oper und folgte 1939 schließlich doch seiner Tochter Eva, die schon vier Jahre zuvor nach Amsterdam emigriert war. 1941 wanderte die Tochter mit ihrer Familie in die Vereinigten Staaten aus, Eugen Engel musste weiter auf eine Zusage aus dem amerikanischen Konsulat warten. 1943 wurde er in Amsterdam als Jude festgenommen, ins Lager Westerbork gebracht und schließlich nach Sobibor, wo er am 26. März 1943 ermordet wurde.

          An ihn wird bald nicht mehr nur der Stolperstein in der Charlottenstraße 74 in Berlin erinnern, unweit vom Checkpoint Charlie, sondern auch seine Oper „Grete Minde“.

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