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Rimski-Korsakow in Frankfurt : Ein großes Theaterwunder

In diesem gesetzten Rahmen, der die Illusion als solche kenntlich macht, jeden Naturalismus vermeidet und auch auf die von Loy sonst meisterhaft beherrschte Psy­chologisierung weitgehend verzichtet, ist dann alles an Jux und Zauber möglich. Der trickreiche Magier Pazjuk (Thomas Faulkner), der sich von seiner Sklavin (Paola Ghidini) mit Wareniki füttern lässt, zeigt Wakula, wie er sich den Teufel als Flugbegleiter dienstbar machen kann. Die Hexe Solocha empfängt den Teufel, den Bürgermeister (Sebastian Geyer), den Diakon (Peter Marsh) und den Kosaken Tschub (Alexey Tikhomirov) der Reihe nach als Liebhaber und versteckt sie voreinander in Kohlensäcken, woraus Loy einen Schwank von dreckig-derbster Jahrmarktskomik macht, der die vokale Pornofonie der halb gekeuchten, halb gequiekten „Oi-oi-oi“-Interjektionen des Diakons und der Hexe weidlich auskostet. Natürlich ist das eine antiklerikale Satire Rimski-Korsakows.

Die Sängerbesetzung verzeichnet lauter Rollendebüts und bietet einen un­glaublichen Farbenreichtum auf: den hohen Holztrompetentenor von Peter Marsh als Diakon neben dem wendigen Eidechsentenor von Andrei Popov als Teufel und dem zum Hinschmelzen lyrischen Tenor von Georgy Vasiliev als Wakula, der übrigens optisch dem Förderer und Verleger Rimski-Korsakows, dem reichen Holzhändler Mitrofan Beljajew, wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Julia Muzychenko singt die Oksana mit ju­gendlicher Leichtigkeit, süßester Tonschönheit und dem Timbre zartester Hirtenflöten.

Der Chor, einstudiert von Tilman Michael, bietet alles auf, was er nur kann: schnippische Spottlieder der Frauen, ka­meradschaftliche Solidarität der Männer, Ergebenheitsadressen der Saporoscher Kosaken gegenüber der Zarin und schließlich den ergreifendsten Moment der ganzen Oper: das Umschlagen der heidnischen Wintersonnenwend-Rituale in die Anbetung Jesu Christi als dem „Licht, das von Osten kommt“. Für den Sternenreigen, die Geburt der Sonnengottheiten Koljada und Owsen, hat sich Klevis Elmazaj eine Choreographie der Scheu und der Zärtlichkeit erdacht: Koljada (Ayelet Polne) tanzt mit einem Bären (Pascu Ortí) Mazurka und wird später von Owsen (Gorka Culebras) in die Lüfte erhoben.

Sebastian Weigle am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters setzt diese Partitur um als Entwurf einer soziokosmologischen Sphärenharmonie: Es glitzert und funkelt, singt und springt, klagt und lacht aus dem Orchester in allen Farben. Eine Utopie von integrierter Diversität: Hochkultur und Popkultur, Heidentum und Christentum, Ost und West – denn sind die Sternenreigenakkorde am Beginn der Oper nicht Antwort auf Felix Mendelssohn Bartholdys Ouvertüre zu William Shakespeares „Sommernachtstraum“? Das kundige Lauschen also von einer Sonnenwende zur anderen?

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