„Tristan“ in Frankfurt : Mann sucht Frau fürs Sterben
- -Aktualisiert am
Vincent Wolfsteiner als Tristan und Rachel Nicholls als Isolde. Bild: Barbara Aumüller
Katharina Thoma inszeniert an der Oper Frankfurt eine klug unterkühlte Version von Richard Wagners „Tristan und Isolde“: Den Weg zum Leben lässt sie offen.
Tristan und Isolde sind nicht von dieser Welt. Und zwar von Anfang an. Man muss nicht bis zum zweiten Aufzug warten, in dem Richard Wagner ihnen zu todestriebtrunkener Musik die Worte „Löse von der Welt mich los“ in den Mund legt. Schon das erste Bild in der Neuinszenierung von Katharina Thoma an der Oper Frankfurt verrät alles: Tristan und Isolde schweben unnahbar auf einem Podest mit ihrem pechschwarzen Boot über der Erde. Aber der Raum, den Johannes Leiacker um sie herum gebaut hat, ist der Ausstellungsraum einer modernen Galerie. Die Welt ist ausgesperrt. Wir sind im Museum. Tristan und Isolde sind von Anbeginn Ausstellungsstücke einer schwarzen Romantik. Für den dritten Aufzug hat Leiacker Boot und Bretter aufgetürmt zur ikonographischen Signalsilhouette der Eisschollen und des Schiffswracks in Caspar David Friedrichs Bild „Das Eismeer“ (oder „Die gescheiterte Hoffnung“). Doch beim Liebestod, ganz am Ende des Musikdramas, fährt diese Ikone der Zukunftslosigkeit nach hinten ab und verschwindet. Isolde bleibt allein zurück, unversehrt, stehend, von Irina Bartels modern eingekleidet, im Licht – und im Leben.
Tatsächlich hat Thoma als Regisseurin zunächst einmal genau gelesen: Es ist Tristan, der den Tod von Anfang an will. Isolde sinnt zunächst auf Rache an dem Mörder ihres Verlobten Morold, doch kann sie sich der Liebe zu Tristan nicht erwehren. Als er sie dann im zweiten Akt anfleht: „Lass mich sterben!“, stellt sie die Frage: „Wie anders als mit Isoldes eignem Leben wär’ Tristan der Tod gegeben?“ Da klingt ein Zweifel an. Sie muss überredet werden. Während Tristan von Anfang an die Frau zum Sterben sucht, wäre Isolde vielleicht auch mit dem Mann zum Leben glücklich. Wagners Text lässt diese Lesart durchaus zu. Und Thoma distanziert sich kühl und klug mit ihrer Inszenierung von der Alternativlosigkeit des Doppelselbstmords, die Wagner mit seiner verheißungsvollen Musik nahezulegen scheint.
Doch selbst die Suggestionskraft der Musik wird an diesem Abend gezügelt. Der Generalmusikdirektor Sebastian Weigle kostet mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester nur selten einmal die Spannungen der Dissonanzen aus als Erotisierung einer Entschlossenheit zum Tode. Die Farben der Düsternis, das Ächzen der Brandung im Vorspiel zum dritten Aufzug, worin sich so etwas wie die Empathie der unbelebten Natur mit dem zu Tode betrübten Menschen ausspricht, also eine Art universeller Solidarität der Schöpfung, behalten bei Weigle eher den Charakter einer distanzierten Beschreibung als den einer dringlichen Nötigung zur Identifikation.
Der Klang des Orchesters ist nicht aufgeheizt. Eher geht es Weigle um eine möglichst organische Phrasierung, um ein metrisches Schwimmen und Schweben, das sich mit der Zeit auch sehr schön einstellt, nachdem im Vorspiel zunächst die Kontrabässe etwas zu früh, die Hörner etwas zu spät eingesetzt hatten. In diesem Schwimmen und Schweben – Wagner schrieb „Tristan und Isolde“ in Venedig, und nicht von ungefähr ist der Sechsachteltakt des Vorspiels auch das Metrum vieler Barkarolen – wird das „Ertrinken, Versinken“ als Glücksversprechen des finalen Liebestodes eigentlich immer schon erfüllt. Und das ist durchaus originell, die „Tristan“-Partitur nicht vorrangig expressiv zu begreifen als Klang der Sehnsucht und des Begehrens, sondern eher von den Bewegungsmustern her. Dieses Schwimmen und Schweben steht ja für die regressive Utopie Tristans, zurückzukehren in „das dunkel nächt’ge Land, daraus die Mutter mich entsandt“, zurück ins vorgeburtliche Leben, zum Schwimmen im Fruchtwasser, woran uns die Wiege und der Schaukelstuhl nach der Geburt immer noch tröstlich-motorisch erinnern. Auf diesen motorischen Trost setzen Weigle und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester viel mehr als auf das Triebleben der Klänge.
Exzellenter König Marke
Besetzt ist dieser Frankfurter „Tristan“ zumindest in den Nebenrollen exzellent. Christoph Pohl, mit perfektem Stimmsitz, singt einen Kurwenal von deutlichster Diktion und bezwingender Eleganz in der Phrasierung. Auch Iain MacNeil als Melot setzt schon mit wenigen Tönen durch den Chromglanz seines Baritons ein Achtungszeichen. Andreas Bauer Kanabas erntet mehrere Salven von Bravorufen, weil er einen wirklich überragenden König Marke singt: mit klangschönem, stets sauber und stabil intoniertem Bass und eindrucksvollen Zurücknahmen der Lautstärke als klangliches Zeichen seelischer Zermürbung und Enttäuschung über den Verrat Tristans, der ihm Isolde als Braut warb und ihn dann mit ihr betrog.
Als Brangäne gerät Claudia Mahnke bei den Belehrungen ihrer Herrin Isolde manchmal ins unangenehm Kantige, Gereizte. Aber ihre gedehnten Wächterrufe zum Liebesduett der Titelfiguren im zweiten Aufzug haben dann genau jene flutende Güte, jenen weiten Atem, jenes visionär Leuchtende, das sie brauchen.
Vincent Wolfsteiner als Tristan klingt zunächst eher wie ein Charakter-, weniger wie ein Heldentenor. Seine Stimme bleibt spröde; zur Innigkeit, zur Süße der Überredung – und es geht immerhin um Überredung zum Freitod – findet er nur schwer. Aber er bleibt höhensicher und durchsetzungsstark und hat, trotz leichter Heiserkeit im zweiten Aufzug, wirklich noch genügend Kondition für die überzeugende Gestaltung der Fieber- und Wahnsinnsanfälle im dritten Aufzug.
Rachel Nicholls kassierte als Isolde vom Publikum reichlich Buhrufe, was nicht nötig gewesen wäre. Ihr Sopran ist schön und nuancenreich, besonders in der leisen Konversation. Ihre stimmhaften Konsonanten wie b, l und s haben herrliche Glut. Aber es fehlt ihr an Kraft, an warmer Grundierung ihrer Spitzentöne. Beim Liebestod ist sie erschöpft und verliert die Intonationskontrolle. Mit der Besetzung als Isolde hat man ihr keinen Gefallen getan.