Oper : Chaos in der Museumsvitrine
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Gewaltig ist die Tiefe dieses Bühnenraums: Szenenbild aus Heiner Goebbels’ Inszenierung der „Europeras“ von John Cage in Bochum Bild: Wonge Bergmann
Heiner Goebbels inszeniert zur Eröffnung der Ruhrtriennale John Cages „Europeras“. Eine Materialschlacht, prächtige Dekorationen, atemraubende Artistik. Trotzdem zündet der Funke nicht.
Es brummt in der Jahrhunderthalle in Bochum wie in einem Bienenstock. Sind ja auch heute wieder alle Bienenköniginnen und Bienenkönige versammelt, alle Drohnen und Strippenzieher, die der Musikbetrieb in Deutschland so aufzubieten hat: Direktoren, Intendanten, Dezernenten, Agenten, Kulturpolitiker, Kulturkritiker oder sonst wie Verantwortliche. Zumindest alle drei Jahre, wenn bei der Ruhrtriennale ein Intendantenwechsel stattfindet, gibt es zur Feier der Eröffnung fast ebenso viel Brimborium wie bei der Eröffnung der Bayreuther Festspiele.
Plötzlich tönt eine Lautsprecherstimme, gleich sinkt der Schwatz-Pegel, alle setzen sich, die letzten schalten ihr Handy aus. Doch geht es bei der Ansage gar nicht darum, auch nicht, ob irgendwelche Sänger indisponiert sind. Vielmehr wird um Applaus gebeten für den Einzug der Juroren der „Children’s Choice Awards“.
Ein neues Kulturprojekt: Kinder begutachten Opern
Und dann marschieren sie herein, in Reih und Glied, wie zum Appell, um sich die knapp zweieinhalbstündige Premiere von „Europeras 1 & 2“ des Komponisten John Cage anzuschauen: drei Dutzend Kinder und Jugendliche, Mädchen und Jungen, alle kommen aus Schulen der Region.
Insgesamt hundert solcher Kinder-Juroren beobachten in diesem Jahr die Ruhrtriennale. Sie begutachten drei Opern-, vier Theater- und fünf Tanzdarbietungen, und vergeben anschließend Preise: Für die coolste Musik, das lustigste Kostüm, die schlechtesten Träume usw. Diese Kinder-Juries sind Teil eines aufwendigen „no-education“-Projekts, das ist eine jener Erfindungen, mit denen der neue Ruhrtriennale-Chef Heiner Goebbels das Festival gründlich liften und verändern will.
Wie schrecklich höflich, wohlerzogen und diplomatisch!
Mit seinem Namen und seiner Kunst, als Komponist und als Regisseur, steht Goebbels selbst ein für die seit 1968 mannigfach erprobten Formen eines interaktiven Musiktheaters, das die Grenzen der alten Gattungen sprengt und dabei die Rezeption mit in die Produktion integriert. Nach knapp drei Stunden, auf der Rückfahrt, sind dann im Autoradio die ersten Juroren-Eindrücke zu hören, denn das Kulturmagazin „Fazit“ des Deutschlandradio sendet heute Nacht live aus der Jahrhunderthalle.
Ach, wie schrecklich höflich sind diese Kinder, wie wohlerzogen und diplomatisch! Es sei, sagt eins, ja zuerst recht langweilig gewesen, dann aber „doch ganz interessant“. Klar, ja, langweilig schon, sagt ein anderes, aber das „ist eben Kunst!“
Diese Kinder-Juror-Weisheit trifft ins Schwarze. Was aber natürlich bedeutet, für Goebbels und für seine hochfliegenden Ambitionen ebenso wie für sein engagiertes, kostbares Team: Der erste Probeschuss ging nach hinten los. Für ein Kind, aufgewachsen im Medienzeitalter, mag das „Multi-Tasken“ beim Erfassen dieser kleinportionierten und dem Zufall überlassenen Schnitzel von Ton, Aktion, Bild, Wort, Pose, Licht, Tanz und Bewegung gar kein so aufregendes Abenteuer mehr sein, so, wie es das vor fünfundzwanzig Jahren war, als John Cage in Frankfurt sein Werk zum ersten Mal präsentiert hatte: Eine Hommage an die europäische Operngeschichte einerseits - zumindest an all die nicht mehr urheberrechtlich geschützten Titel: „your operas!“; und zugleich die ultimative Zerstörung und Zerschredderung der Gattung: „an opera to end all operas“.
Andererseits ist das phantastisch beziehungsreiche Augenfutter, das jetzt von Bühnenbildner Klaus Grünberg und Ausstatterin Florence von Gerkan aus vierhundert Jahren Operngeschichte zusammengetragen und herrlich aufbereitet wurde, in den Augen eines Kindes, das mit Videospielen aufwuchs, nur ein lächerlicher Pipifax.