„Lachenmann-Stil“ : Das muss ihm erst einmal einer nachmachen
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Komponist Helmut Lachenmann, aufgenommen im Oktober 2015 in Stuttgart. Bild: dpa
In den Kompositionsunterricht an den Hochschulen hat der „Lachenmann-Stil“ Einzug gehalten. Zeit für den 82 Jahre alten Komponisten, sich selbst etwas ihm Neuem zuzuwenden.
Routine ist der Tod jeder Kunst, auch und gerade dort, wo sie gegen eingeschliffene Wahrnehmungsgewohnheiten rebelliert. Das erkannte schon Strawinsky, als er nach dem epochalen Paukenschlag seines „Sacre du printemps“ nicht dem vermeintlichen Erfolgsrezept „Mehr vom Gleichen“ verfiel, sondern sich zunehmend Kleinbesetzungen zuwandte und auf die neoklassizistische Linie einschwenkte.
Luigi Nono schaffte 1980 den Absprung in neue kreative Gefilde, indem er auf die lange politisch-revolutionäre Phase sein Hölderlin-Streichquartett folgen ließ. Auf ähnliche Weise ist auch Helmut Lachenmann der Routine entkommen. Jahrelang hatte er sich mit den Schattenseiten des „schönen Tons“ beschäftigt und den Instrumenten lauter Geräusche und Geräuschklänge entlockt – ein Tabubruch und zugleich Kritik an einem Schönheitsbegriff, der nach dem Missbrauch der großen klassischen Werke im Nationalsozialismus leer und unglaubwürdig geworden war.
„Melodie ist eine bourgeoise Angelegenheit“
Und dann muss er eines Tages erschreckt feststellen, dass er ungebetene Nachahmer hat: In den Kompositionsunterricht an den Hochschulen hält der „Lachenmann-Stil“ Einzug, das ehemals skandalöse Schaben auf den Saiten und tonlose Blasen in die Mundstücke ist zum approbierten Merkmal kompositorischer Fortschrittlichkeit verkommen. Die Kritik an der Gewohnheit ist selbst zur Gewohnheit geworden.
Nun ist es für Lachenmann höchste Zeit, sich vom zweifelhaften Ruf eines Geräuschpapstes zu befreien, und er beginnt sich mit der lange vernachlässigten Melodie zu befassen. Auch das ein Tabubruch, diesmal mehr persönlicher Art, hat doch Melodie für ihn seit jeher etwas ungemütlich Magisches, dem es mit kritischem Verstand zu Leibe zu rücken gilt. Auch hatte ihm um 1960 schon sein Lehrer Nono eingeschärft: „Melodie ist eine bourgeoise Angelegenheit.“
Daran hat sich nun Lachenmann in einem langen und windungsreichen Gespräch mit Michael Krüger in München erinnert, knapp einen Monat vor der Uraufführung einer neuen Komposition für acht Hörner und Orchester. Der Titel der Stücks: „My Melodies“. Details gibt Lachenmann nicht preis, doch er will offenbar dem Löwen mutig in den Rachen greifen. Einen Befreiungsschlag hat er schon zum Jahresbeginn gelandet, mit der abgründig-parodistischen „Marche fatale“ für großes, lautes Orchester, und er stürzte damit seine noch immer geräuschfixierte Anhängerschaft in größte Verwirrung. Routine sieht anders aus. Mit seinen zweiundachtzig Jahren scheint er sich die Altersweisheit aus der Schlussfuge von Verdis „Falstaff“ zu eigen gemacht zu haben: „Tutto nel mondo è burla“ – alles auf Erden ist Spaß.