„Mein Kampf“ in Eggenfelden : Ein Feind, ein guter Feind
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Auch mit Stahlhelm: Schauspieler Norman Stehr liest aus „Mein Kampf“ und spielt mit den Zuschauern. Bild: Sebastian C. Hoffmann
Das Theater an der Rott in Eggenfelden zeigt Hitlers „Mein Kampf“ als Talkshow mit musikalischen Einlagen. Nur ein echter Gassenhauer fehlt dem Abend.
Der Landkreis Rottal-Inn in Niederbayern gönnt seinen 120.000 Bewohnern etwas, womit er in Deutschland allein ist – ein eigenes Theater. Seit 1963 steht in Eggenfelden das Theater an der Rott. Es bietet 385 Sitzplätze, verfügt über eine zusätzliche Studiobühne und ein neunköpfiges Ensemble. Am Wochenende ist es mit Hitler in die Spielzeit gestartet. Der geht immer, aber geht „Mein Kampf“ auch als Musical?
Regisseur und Autor Malte C. Lachmann, der 2022 als Schauspieldirektor nach Lübeck wechselt, und der aus Australien stammende Komponist Dean Wilmington machen das Buch zum Thema einer Talkshow, durch die der Schauspieler Norman Stehr als Gastgeber führt. So wird aus den 1925/26 erschienenen beiden Bänden mit zusammen fast achthundert Seiten eine achtzigminütige Mischung aus Lesung, Liederabend und Geschichtsstunde.
Zum Glück wird’s keine Parodie
Das Ein-Mann-Stück verlangt dem konditionell bestens disponierten Stehr leise Töne, Gebrüll, Tanzeinlagen, Gesang, Slapstick und Turneinlagen ab. Er zappelt, hampelt, nestelt an seiner Lesebrille herum, fläzt am Schreibtisch, erspart den Zuschauern so gut wie jeden Anstrich von Parodie und setzt den „deutschen Gruß“ und des „Führers“ Fuchtelgestik angenehm sparsam ein. Der als Sidekick am Elektroklavier agierende Dean Wilmington ergänzt das Bild mit ausdrucksloser Miene. Die Zuschauer sitzen auf der Bühne an Tischen, so entsteht Intimität, mehr Nähe geht unter Corona-Bedingungen nicht.
„Hitler hat für alles eine Lösung, dieser alte Dr. Sommer, nur leider will sie keiner hören“, fasst Gastgeber Stehr die Adoleszenz des späteren Diktators zusammen. Vom miserablen Schüler, der früh beide Eltern verliert, mutiert er unter anderem zum falschen akademischen Maler. Hitler will alles Mögliche werden, Redner, Maler, Abt, Architekt, Baumeister, Arbeiter, Philosoph, Soziologe, Soldat, Bildungsoffizier. Alles Befunde aus „Mein Kampf“, zusammengetragen, um zu zeigen, wes Ungeistes Kind der spätere „Führer“ war. Das Ziel: begreiflich machen, wie das geschehen konnte. Dazu hat Wilmington Lieder geschrieben, die Motive von Wagner, des Wiener Walzers und der Comedian Harmonists („Ein Freund, ein guter Freund“) variieren. Für ein Musical allerdings brauchte es ein paar echte Gassenhauer.
Hitlers hemmungslose Hochstapeleien
Stehr seziert Hitlers hemmungslose Hochstapeleien, die heute jeden Politiker das Vertrauen kosten würden. Die Gleichsetzung christlicher Dogmen mit der apodiktischen Weltanschauung des Nationalsozialismus trübt freilich intellektuell den Anspruch, sich dem Thema halbwegs nüchtern zuwenden zu wollen. Stehrs Frage, ob man in den Abend als lupenreiner Demokrat hineinginge und als Nazi wieder herauskäme, ist rhetorisch, aber eine Zahl irritiert dann doch: „Dieses Buch gefiel 79 Prozent der Nutzer“, heißt es aktuell bei Google.
Lachmann und Wilmington stellen sich in eine Tradition von „Mein Kampf“-Inszenierungen fürs Theater, voran jene von George Tabori, und Lesungen – unvergessen Helmut Qualtinger und zuletzt Erwin Steinhauer. Ihr Ansatz ist verdienstvoll, weil schulklassengeeignet. Eingeblendete Umfrageergebnisse zeigen, dass es immer noch Deutsche gibt, die sich für ein überlegenes Volk und den Einfluss von Juden für (zu) groß halten. Der Gastgeber beendet die Show abrupt mit einer Frage: Nun, da wir gesehen haben, wie Hitler zu seinen Werten kam, woher beziehen wir die unseren? Freundlicher Applaus.