„Manon Lescaut“ in Dresden : Fette süße Klänge, doch auch des Gedankens Blässe
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Miss Liberty in Dresden: Stefan Herheim verkompliziert Puccini an der Semperoper Bild: Matthias Creutziger
Stefan Herheims macht aus „Manon Lescaut“ an der Semperoper eine schwerfällige Freiheitsheldin. Christian Thielemann umgibt sie mit wundervollem Klang.
Wie die Sonne strahlte die Semperoper im vergangenen Herbst. Ein vorbildlich erneuertes Ensemble, ein heiß ersehnter, einzigartiger Musikdirektor und dazu ein gut aufgestellter, intelligenter Spielplan, wie ihn die verstorbene Intendantin Ulrike Hessler hinterlassen hat: Da musste, da konnte doch nur viel Gutes daraus werden!
Jetzt, zur Halbzeit der Saison, ziehen Wolken am Horizont auf. Die Vorschusslorbeeren sind welk geworden. Kein Ersatz für Hessler in Sicht. Interimistisch führt der kaufmännische Geschäftsführer Wolfgang Rothe weiterhin das künstlerische Team; er schrieb auch das Vorwort für das schüttere Programm zur nächsten Spielzeit, immerhin mit Schwerpunkt Richard Strauss. Thielemann selbst will nur zwei Premieren („Elektra“ und Verdis „Boccanegra“) übernehmen. Den „Guntram“ und „Feuersbrunst“ überlässt er Gastdirigenten, beides gibt es nur halbszenisch oder konzertant.
Mögen die Dresdner ihre Oper nicht mehr?
Und ganz aktuell knirscht es nicht nur im Besetzungsbüro, auch bei den Bilanzen. Wie kann es, zum Beispiel, sein, dass von der zweiten Aufführung der Neuproduktion von Händels „Orlando“ (am 3.Februar) an die oberen Ränge gähnend leer sind und auch die Parkettreihen nur bestenfalls halb gefüllt? Nach der Pause wird es noch leerer. Weder der bieder dirigierende Jonathan Darlington noch der hilflos die Händelschen Da-Capo-Arien-Üppigkeiten mit kofferschleppenden Statisten und gestenverdoppelnden Tänzern dekorierende Regisseur Andreas Kriegenburg verdienen solcherart demonstrative Nichtbeachtung. Mögen die Dresdner ihre Oper nicht mehr leiden?
Und wo sind all die Bus-Touristen geblieben, die dieses weltberühmte, dank der TV-Spots eines bierproduzierenden Sponsors auch hierzulande jedem geläufige Opernhaus so zuverlässig dauerauslasteten? Es scheint, als sei die Semperoper nur noch attraktiv, wenn Thielemann dirigiert - und eine Wüste, wenn er anderswo weilt.
An diesem Abend dirigiert er, ausnahmsweise. Im ersten Rang links, erste Reihe, sitzen drei Nornen, sie stecken die Köpfe zusammen, bevor es los geht, vielleicht, dass auch sie sich Sorgen machen um ihren Thielemann und um dessen Haus. Es sind drei erfahrene Intendantinnen, sie gehören zu einer Generation, die schon alles kennt und die schon (fast) alles hinter sich hat, einbrechende Bilanzen, abbrennende Dachstühle, Tod und Teufel: Eva Wagner-Pasquier, Nike Wagner und Pamela Rosenberg. Wissen sie, wie das wird?
Thielemanns erste „echte“ Premiere der Saison ist (was das Programm nur andeutet, die Nornen aber wissen es natürlich) eine Koproduktion. Quasi Zweitverwertung. Diese rätselhafte und zugleich banale, in mehrfachen Schichten Giacomo Puccinis Oper „Manon Lescaut“ übermalende Lesart, die vorgestern gezeigt wurde, hatte der Regisseur Stefan Herheim zuvor schon für das Opernhaus in Graz erarbeitet. Er hat sie für Dresden, mit anderen Sängern und für eine breitere Bühne, nur neu adaptiert. Herheim schneidet das bekannte, süßsaure Rokoko-Moral-Stöffchen von Abbé Prévost in filmtechnisch einzelne Bilder-Scheiben, die hat er übermalt mit den komplizierten Ergebnissen seiner gesellschaftspolitischen Analysen.