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US-Musical-Legende : Broadway-Komponist Stephen Sondheim ist tot

  • -Aktualisiert am

Lyriker und Komponist Stephen Sondheim, links, mit Schauspielern nach der Schlussaufführung von “Pacific Overtures“ in New York am 14. April 1984. Bild: AP

Er schrieb die Texte zur „West Side Story“ und schuf zahlreiche weitere Musicals. Seine Stücke waren melancholisch, aber kaum melodramatisch. Nun ist Stephen Sondheim im Alter von 91 Jahren in Connecticut verstorben.

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          Stephen Sondheim, einer der Großen des amerikanischen Musiktheaters, ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Der Lyriker und Komponist schrieb unter anderem die Songtexte für „West Side Story“, er schuf Musicals wie „Gypsy“, „Into the Woods“, „Sweeney Todd“, „Assassins“ und „A Little Night Music“. Sondheim starb am Freitag. Am Tag zuvor hatte er noch mit Freunden in seinem Haus in Roxbury, Connecticut, Thanksgiving gefeiert.

          Sondheim schrieb, wie viele bemerkten, nur scheinbar leichte Stücke mit oft vielschichtigen Untertönen, wie „If Momma was Married“ aus „Gypsy“, ein Song aus der Sicht eines Scheidungskinds, oder das nachdenkliche „Anyone Can Whistle“, das als Protest gegen Konformitätszwänge gedeutet wurde.

          Die New York Times bezeichnete ihn als Künstler, der dem Musical eine „neue, sperrige, erwachsene“ Form gegeben habe. Seine Arbeit wurde unter anderem mit einem Oscar (für Madonnas „Sooner or Later“ aus dem Film „Dick Tracy“ 1991), einem Pulitzerpreis für das beste Drama (für „Sunday in the Park with George“ 1985) und neun Tonys ausgezeichnet. Präsident Barack Obama verlieh ihm 2015 die Presidential Medal of Freedom.

          Sondheim galt als Liebling der Kritiker, produzierte aber nicht einen Ohrwurm nach dem anderen. Eine Broadway-Revue mit seinen Songs 1999 hielt sich gerade drei Monate auf der Bühne. „Es gibt Musicals, und dann gibt es Sondheim-Musicals“, schrieb der Guardian 2014 über seine komplexe Arbeit.

          Mit dem Mainstream nichts am Hut

          Dass das Musical vielfach als mindere, banalere Form des Theaters betrachtet wird, machte Sondheim zu einem Sonderling in seinem Fach. Er sei eben nicht Teil des Mainstreams, sagte er der New York Times in einem Interview zu seinem siebzigsten Geburtstag, in dem er sich darüber ärgerte, dass Musicals von der Stange kämen und zu bloßen Geldmaschinen geworden seien. Er verachtete die Revivals und „immer gleichen Spektakel“, die nichts mit Theater zu tun hätten, sondern nur davon lebten, dem Publikum Altbekanntes vorzusetzen. Es gehe ihm weniger darum, anders zu sein, als eine Vision zu verfolgen.

          Stephen Sondheim während einer Veranstaltung an der Tufts University in Medford im US-Bundesstaat Massachusetts am 12. April 2004.
          Stephen Sondheim während einer Veranstaltung an der Tufts University in Medford im US-Bundesstaat Massachusetts am 12. April 2004. : Bild: AP

          Seine Liebe zum Musical entdeckte Sondheim, der zunächst in New York und nach der Scheidung der Eltern auf einer Farm in Pennsylvania aufwuchs, als Zehnjähriger unter dem Einfluss von Oscar Hammerstein (Teil des berühmten Musiktheater-Duos Hammerstein und Rogers), mit dessen Sohn James er befreundet war. Ein frühes Musical, das er noch als Schüler verfasste, „By George“, beeindruckte seine Freunde, fiel aber bei Hammerstein durch. Hammersteins Kritik des Stücks indes habe ihm mehr über das Musiktheater vermittelt - „wie man ein Lied strukturiert, was eine Figur und eine Szene ist, wie man eine Geschichte erzählt und wie nicht“ - als andere in einem ganzen Leben darüber lernten, sagte Sondheim später.

          Nach dem Musik-Studium am Williams College, das er mit Magna cum laude abschloss, fand er seinen Durchbruch mit den Songtexten zu Leonard Bernsteins „West Side Story“. Im Laufe seiner Karriere sollte Sondheim höchst unterschiedliche Geschichten erzählen, darunter über den Maler George Seurrat („Sunday in the Park with George“), über Grimm-Märchen („Into the Woods“), über Massenmörder („Sweeney Todd“) und Präsidenten-Attentäter („Assassins“), und über die Ankunft der Amerikaner in Japan im 19. Jahrhundert („Pacific Overtures“).

          Seine Stücke waren oft melancholisch, aber kaum melodramatisch. Das Feelgood-Schema von Erfolgsmusicals wie „My Fair Lady“ oder später „Cats“ und der Disney-Produktionen lag ihm fern, auch wenn er bekannte, er liebe das Theater ebenso sehr wie die Musik. „Mich interessiert die Verbindung mit dem Publikum“, sagte er 2010 in einem Gespräch mit dem Sender NPR. „Der Gedanke, das Publikum zum Lachen und zum Weinen zu bringen – es zum Fühlen zu bewegen – ist für mich von höchster Bedeutung.“ Zugleich bezeichnete er sich als „Mathematiker nach Veranlagung“; hätte er sich nicht dem Musical verschrieben, würde er sich gern mit Fermats Theorem beschäftigt haben, sagte er der Times.

          Sein Song „Send in the Clowns“ aus „A Little Night Music“ mag sein bekanntester sein; namhafte Künstler wie die Elaine Stritch, Frank Sinatra, Angela Lansbury und Bernadette Peters interpretierten seine Stücke. Letztere beschwor Sondheims Arbeit mit den Worten: „Sie geht viel tiefer, als man sich das vorgestellt hat.“

          Verheiratet war Sondheim seit 2017 mit Jeff Romley. Im vergangenen Jahr gab es zu seinem neunzigsten Geburtstag eine virtuelle Revue seines Schaffens zugunsten von Menschen in Armut. Sondheim fand den Rummel ein bisschen viel, wie er gegenüber NPR bekannte. „Aber es ist wunderbar zu wissen, dass Menschen meinen Kram mögen.“

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