Streichquartett und Stille : Auch Pausen erzählen eine Geschichte
- -Aktualisiert am
Als es noch Zuhörer gab: Lucas Fels am Violoncello mit dem Arditti-Quartett Bild: Getty
Aber sie brauchen aufmerksame Zuhörer: Der Cellist Lucas Fels vom Arditti Quartet spricht darüber, dass das Publikum für die Musik lebenswichtig ist.
Das Arditti Quartet, 1974 gegründet, ist weltweit das führende Streichquartett für die Musik des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts. Es hat Werke von Benjamin Britten, Sofia Gubaidulina, György Ligeti, Helmut Lachenmann und Wolfgang Rihm zur Uraufführung gebracht. Der Cellist Lucas Fels gehört ihm seit 2006 an. Momentan ist er in seiner Heimatstadt Freiburg. F.A.Z.
Wie kamen Sie bislang mit dem Stillstand des Musikbetriebs zurecht?
Mir ganz persönlich geht es zu einem Teil sehr gut, weil ich privilegiert bin: Ich bin zu Hause mit meiner Familie, es gibt hier ein sehr gut funktionierendes Gesundheitssystem, und ich bin durch eine Professur an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt finanziell abgesichert. Der andere Teil ist der, dass ich als Cellist eines Streichquartetts zurzeit keinen Beruf habe. Musik zu machen ist in meinem Fall Kammermusik mit anderen Menschen zusammen. Das kann ich zurzeit nicht. Musik, die ich mache, kann nur in einem Raum mit Zuhörern stattfinden. Aber das fand nun drei Monate lang nirgends mehr statt. Zugespitzt könnte man sogar sagen: Diese Art von Musik, zeitgenössische Instrumentalmusik, klassische Vokal- und Instrumentalmusik überhaupt, existiert im Moment nicht. Es gibt nur die Erinnerung an Musik in Form von Aufzeichnungen. Aber: Die „wirkliche“ Musik, das gemeinsame Erleben und das gemeinsame Machen, kann nur unter großen Einschränkungen stattfinden.
Freuen Sie sich wenigstens auf die vielen guten Streichquartette, die wahrscheinlich im Moment komponiert werden?
Ich freue mich sehr darauf, sie bald wieder uraufführen zu dürfen. Wir als Arditti-Streichquartett leben von genau diesen Menschen, die im Stillen wahrscheinlich auch jetzt Klänge für uns erfinden. Wir müssen uns alle auf die Zeit danach vorbereiten; dazu gehört für Komponisten selbstverständlich auch das Weiterarbeiten an Aufträgen. Wir warten darauf, dass es weitergeht und dass wir das, was wir hatten, wieder zurückgewinnen können.
Wie hat Sie im März die Nachricht erreicht, dass erst einmal Stille im Konzertsaal herrschen wird?
Ich war in Spanien in Urlaub. Eigentlich wollte ich nach London zum Proben reisen. Dann aber wurde eins nach dem anderen abgesagt. Das letzte Konzert war beim Festival Eclat in Stuttgart mit Werken von Silvia Borzelli, Andreas Frank, Sven-Ingo Koch und Sergej Newski im Februar. Das Publikum hat mit großer Aufmerksamkeit reagiert. Wir hatten den Eindruck, hier wieder einmal am Rad der Musikgeschichte mitgedreht zu haben.
Dreht das Publikum auch mit?
Das Publikum dreht durch den Konzertbesuch, das Interesse und die Auseinandersetzung natürlich mit an diesem Rad. Ohne Publikum geht’s nicht. Das Publikum haucht dem Ganzen erst Leben ein und verhält sich dabei immer unterschiedlich. Die Menschen reagieren unmittelbar empfindsam auf unsere Intensität und unsere Haltung. Besonders wird dies für uns am Werkschluss spürbar. Die Spannung am Schluss ist im Konzertsaal an den vielen Orten jedes Mal anders. Zwischen dem Ende des Spiels und dem Beginn des Applauses haben wir Interpreten gewissermaßen diesen, ja, magischen Moment buchstäblich in der Hand. Dieses Wechselspiel mit dem Publikum ist beeinflusst von der unterschiedlich geprägten kulturellen Wahrnehmung, vom Saal selbst, also davon, ob es moderne Architektur ist oder ein historischer Rahmen, einfach gesagt, ob das Konzert in Kyoto, Köln oder Washington stattfindet. Natürlich spielt dabei das Programm die größte Rolle. Wir halten es beispielsweise so, dass wir zwischen den Stücken nicht hinausgehen, wir stehen nur auf. Daher müssen wir unsere Programme sehr genau planen, denn wir haben mit dem großen Repertoire und den Uraufführungen viel mehr Varianten für die Konzertchoreographie als bei einem rein klassischen Programm. Die Programmreihenfolge wird bei uns intensiv diskutiert, sie muss gewissermaßen komponiert werden. Nehmen wir einmal Wolfgang Rihms drittes Streichquartett „Im Innersten“ oder Luigi Nonos Streichquartett „An Diotima“ in Anlehnung an den Hölderlin-Text, zwei Meilensteine der Quartettliteratur in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Beide Stücke stehen eigentlich für sich, dennoch brauchen sie eine „Programmumgebung“, wie Bilder einen Rahmen, eine Aufhängung, eine Beleuchtung und die anderen Bilder im Raum.