Kurt Masur und Michael Gielen : Zwei Umstürzler mit dem Taktstock
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Eine Instanz, musikalisch wie politisch: Kurt Masur Bild: dpa
Die Autorität des Dirigenten ist funktionaler geworden: Dunkler, deutscher Gewandhaus-Klang und Schönberg-Schule. In dieser Woche werden Kurt Masur und Michael Gielen fünfundachtzig Jahre alt.
In Elias Canettis „Masse und Macht“ heißt es im Kapitel über den Dirigenten: „Es gibt keinen anschaulicheren Ausdruck für Macht als die Tätigkeit des Dirigenten. Jede Einzelheit seines öffentlichen Verhaltens ist bezeichnend, was immer er tut, wirft Licht auf die Natur der Macht. Wer nichts über sie wüsste, könnte ihre Eigenschaften eine nach der anderen aus einer aufmerksamen Beobachtung des Dirigenten ableiten... Er gewöhnt sich daran, immer gesehen zu werden, und kann es immer schwerer entbehren.“ Canettis unerhört hellsichtige Analyse hat gleichwohl ein wenig an empirischer Stringenz verloren: Weil der Typus des allmächtigen Pult-Autokraten im Schwinden ist.
Wer Filme mit Furtwängler gesehen, Auftritte Karajans erlebt hat, kennt die Suggestion des Charismatikers, die Aura des weltentrückten Hohepriesters und zugleich Oberbefehlshabers über vokale und instrumentale Kollektive, der das Publikum in seinen Bann zieht. Doch die Zeiten der Dirigier-Demiurgen, interpretatorischen Wundertäter sind dahin: Dirigent und Orchester begegnen sich kollegialer - und zur Magie gehört auch der Glaube an deren Existenz. Wagners giftiges Bonmot gegen Meyerbeer - „Wirkung ohne Ursache“ - traf das auch Trügerische ästhetischer Überwältigung.
Doch Autorität, künstlerisch effizienter Machtgebrauch bestimmt nach wie vor das Tun des Dirigenten; nur dass das enthusiastisch Funktionale das Schamanen-Gewölk ersetzt hat. An zwei gleichaltrigen, hochbetagten Musikern lässt sich dies belegen; wobei schon die Abneigung, sie „Maestro“ zu titulieren, vom Epochenwandel zeugt. Dabei sind Kurt Masur und Michael Gielen so verwandt wie verschieden. Dem Idol des Glamour-Stars und Festival-Clous entsprechen beide nicht, fühlen sich eher als verantwortliche Arbeiter zugunsten der Komponisten.
Gegenläufige Entwicklung
Ihre Entwicklung freilich war gegenläufig. Masur, in Schlesien geboren, studierte in Leipzig, wo er bis in die neunziger Jahre wirkte, exemplarisch für die Musikkultur der DDR. Gielen, gebürtiger Dresdner, gelangte über Wien ins Exil nach Buenos Aires, kehrte nach Wien zurück, wurde Opernchef in Stockholm und Amsterdam, leitete Orchester in Brüssel, Cincinnati und London: verglichen mit Masurs Einbindung in Deutschland also eine entschieden westlich-internationale Karriere. Zum ubiquitären Jetset-Getriebenen ist er keineswegs geworden, sondern erstrebte, ähnlich wie Masur, Kontinuität der Arbeit. Außerdem ist er Komponist, sieht folglich aus dessen Perspektive auch auf die Werke anderer Komponisten in Geschichte und Gegenwart. Die These, dass am Ende nur ein Komponist sinnvoll dirigieren könne, muss man nicht fetischisieren. Doch keineswegs wenige Beispiele, so auch das Gielens, wirken als Bestätigung, zumindest in struktureller Hinsicht.
Komponieren freilich hieß für Gielen alles andere als Kapellmeistermusik, gekonntes Verfertigen von Orchesterpartituren: Aus der Schönberg-Schule kommend, war er Protagonist der Nachkriegsavantgarde und schrieb eher experimentelle Kammermusik. Die Spannung, ja Spaltung zwischen Kreativität und Reproduktion hat ihn umgetrieben.