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„Tannhäuser“ in Hamburg : Wie ein Schrei nach Erlösung

  • -Aktualisiert am

Selbstbehauptung vor einer Gesellschaft der Spießbürger Bild: dpa

Kunstvoll und klug: Den Ton der Entzückung wie den der Zerknirschung trifft Klaus Florian Vogt für die Titelpartie von Richard Wagners „Tannhäuser“. Dadurch rettet er die Inszenierung an der Hamburgischen Staatsoper.

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          Nur zu gut verständlich, dass Tannhäuser erschöpft ist nach dem wüsten Treiben, das in der Pornophonie des Bacchanals ausgemalt wird und das er zuvor als einen auf den Vorhang projizierten Traum und Albtraum miterleben muss; dass der Hochleistungserotiker auf die Lockfrage der Venus also ermattet erwidert: „Zu viel! Zu viel.“ In der Hamburger Neuinszenierung des ungarischen Filmregisseurs Kornél Mundruczó ist Tannhäuser ein Mann, der mit Venus in der Idylle eines Dschungels lebt mitsamt Kindern, die wohl nicht zum ersten Mal alteheliches Gezänk erleben. Erst in der zweiten Strophe der Hymne an Venus zeigen sie sich bekümmert darüber, dass ihr Vater Sehnsucht hat nach des „Himmels klarem Blau“. Zwei Kinder setzen sich auf seinen Rücken und erleben eine Mutter, die ihn, in einen Morgenmantel gewandet, nicht mehr in die Liebesgrotte zu bitten vermag.

          Während er – mit der Devise „Mein Heil liegt in Maria!“ – die Göttin der Wonne und Lust verlässt, verwandelt sich die Szene. Von einem zerklüfteten Bergfelsen herab begrüßt ein Hirt – zartlautend: Florian Markus aus dem Tölzer Knabenchor – den Mai, bevor die Vertreter der Wartburg-Gesellschaft den lang vermissten Sänger wieder aufnehmen. Seltsame Umkehrung: Die Welt der Venus ist eine üppige grüne Idylle, die Wartburg hingegen türmt sich hoch als karger, brauner Steinhaufen; und die von Elisabeth jauchzend begrüßte Halle wird sich als Ort für rituelle spießbürgerliche Frömmeleien erweisen. Nun, da Tannhäuser sich auf den Weg der Läuterung begibt, beginnt er die erhoffte Selbstheilung durch Zerstörung.

          Beim Sängerstreit auf der Wartburg, bei dem durch „Liedes Kunst der Liebe Wesen“ enthüllt werden soll, stimmt er gegenüber den in „edler Entrüstung“ aufbegehrenden Tugendbolden eine weitere Strophe der Venus-Hymne zum Preis der Sinnenlust an. In der szenischen Einrichtung (Bühnenbild: Monika Pormale) wird der Kampf von zwei Prinzipien – „des Fleisches mit dem Geiste, der Hölle mit dem Himmel“ (Charles Baudelaire) – zum Krach zwischen den Vertretern der bunt-zeremoniell kostümierten und moralisch entrüsteten Wartburg-Gesellschaft und dem Außenseiter. Schauplatz des dritten Aktes für Elisabeths Gebet, Wolframs Lied und Tannhäusers Rom-Erzählung ist wieder jener öde Bergfelsen; und wenn in der Finalszene mit Tannhäusers Erlösungsbitte „Heilige Elisabeth, bitte für mich!“ eine unio mystica mit der heiligen Jungfrau beschworen wird, geht die Inszenierung über in einen chorisch fortissimo besungenen Sakralkitsch – die Chorsänger sind im Parkett positioniert.

          Dass die bieder-mutlose Inszenierung an Spannung gewinnt, verdankt sie der Darstellung des Titelhelden durch Klaus Florian Vogt. Sie verlangt, so Wagner, die „höchste Energie des Entzückens wie der Zerknirschung“. Beispielhaft dafür ist zum einen das „Wunder der Entzauberung des Venusbergs“ am Ende des ersten Aktes, ausgedrückt in dem Ausruf: „Mein Heil ruht in Maria“; zum anderen jene Szene am Endes des zweiten Aktes, in der dem Sänger für die vier Mal auf das hohe A führende Phrase „Erbarm dich mein“ alle „Energie des Schmerzes und der Verzweiflung“ abverlangt wird: für einen Ausdruck, der „wie ein Schrei nach Erlösung hervorzubrechen scheint“. Wagner erwartete, dass „der aus der schauerlichsten Tiefe eines furchtbar leidenden Herzens“ der Ton, ein hohes A, „mit allen Nerven der Brust herausgeschleudert“ werden soll; und er wusste wohl, dass ein „bloßes Befassen mit der Aufgabe schon hinreichen“ könne, „den Sänger über sich in Unruhe zu versetzen“.

          Vogt war so klug, diese Phrasen – und weitere zwanzig mit dem hohen A – nicht mit der Bruststimme zu singen, sondern mit geschickter Beimischung der Kopfstimme. Das „Dämonische in Wonne und Schmerz“ (Wagner) findet seinen Gipfel in der Rom-Erzählung, wenn Tannhäuser vom Scheitern seiner Pilgerreise berichtet: voller Verwirrung und Zorn, Hoffnungslosigkeit und Wahnsinn. Dieses Wechselfieber muss in kontrastreichen Klanggestalten abgebildet werden. Für die Passage, in der ihm der Papst – „Hast du so böse Lust geteilt“ – die Gnade der Erlösung verweigert, fand Vogt einen suggestiv modulierten Klang, zugespitzt in dem Ausruf: „Da ekelte mich der holde Sang!“ So wie er auch den Ton grauenhafter Begeisterung fand, wenn er noch einmal zu Venus in das „Zauberreich der Minne“ zurückkehren will: „mein Heil hab ich verloren, nun sei der Hölle Lust erkoren“.

          Die von Wagner verlangte „Einheit von Deklamation als Gesang und Gesang als Deklamation“ wurde (annähernd) auch von Christoph Pohl als Wolfram und von Georg Zeppenfeld als Landgraf erreicht. Der Bariton führte sich mit rhetorischer Eloquenz und sehr klangschön in die „edlen Kreise“ der Sänger ein und fand für den Gesang einer hoffnungslosen Liebe eine Fülle von Kontrasten: für den improvisatorischen Beginn, für den Lyrismus von „Die Seele, die nach jenen Höh’n verlangt“, für die dynamischen Nuancen von „O du mein holder Abendstern“. Georg Zeppenfeld sang den Landgrafen mit kernigem Klang und jener prägnanten Artikulation, die bei Jennifer Holloway als Elisabeth zu vermissen war. In der Wartburg-Arie wurde die auf das hohe A von „Halle“ folgende Phrase „grüß’ ich“ zu „grüßich“ verschliffen. Dem hohen B am Ende der Arie fehlte der Sitz, dem Lento „Allmächt’ge Jungfrau“ die lyrische klangliche Rundung. Als Venus konnte Tanja Ariane Baumgartner zwar mit Forte-Furor imponieren, nicht aber durch den Sirenenzauber einer „Teufelin“.

          Auch wenn die Aufführung von Kent Nagano sorgsam vorbereitet war, der Zauber der magischen Momente wollte sich nicht einstellen: der reizharmonischen Schärfung des Bacchanals, des Englischhorn-Solos im Kontrast zum Chor der nahenden Pilger oder der stürmischen Einleitung der Hallen-Arie mit ihren heftigen triolischen Figurationen. Aber vielleicht ist es auch die spröde Akustik des Hamburger Hauses, in der viele Klangfarben verfließen.

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