Musikfestival auf Lesbos : Wo alles aufeinanderprallt
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Kiveli Dörken Bild: Giorgia Bertazzi
„Kultur ist der Politik immer drei Schritte voraus“: Ein Gespräch mit der Pianistin Kiveli Dörken, Leiterin des Kammermusik-Festivals auf Lesbos, über den Sinn von Musik im politischen Krisengebiet.
Die beiden sind in Deutschland geboren, die Sommer ihrer Kindheit haben sie auf Lesbos verbracht, der Heimat ihrer Großmutter: Kiveli, 26, und Danae Dörken, 29, deutsch-griechische Pianistinnen aus Berlin. Die beiden Schwestern, die regelmäßig auch als Klavierduo auftreten, haben 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, auf Lesbos ein Kammermusik-Festival gegründet. Mitte August findet in Molyvos die siebte Ausgabe des Festivals statt. Ein Gespräch mit der künstlerischen Leiterin Kiveli Dörken.
Das Motto des diesjährigen Festivals lautet: Liberty – Freiheit. Ein aktueller Kommentar zur immer noch ungeklärten Zukunft der rund 13.000 Flüchtlinge auf der Insel?
Die Frage ist, welchen Unterschied können wir als Musikfestival an den gegebenen Umständen machen? Man könnte diese Menschen mit einem Fingerschnippen auf Europa verteilen. Für die Zeit, die es braucht, einen Konsens in Europa zu finden, habe ich Frieden mit mir gemacht und gesagt, ich muss geduldig bleiben. Geduldig heißt nicht, warten und nichts tun, sondern ständig versuchen, Begegnungen zu kreieren, kulturellen Austausch zu organisieren. Das sehe ich als die wichtigste Aufgabe des Festivals an. Wir leisten als Festival die psychologische Vorarbeit für Politik. Wenn dann eine Lösung gefunden ist und zum Beispiel Deutschland sagt, wir nehmen die Flüchtlinge auf, kann Politik mit größeren Erfolgschancen eine gelingende Integration aufsetzen.
Ein Kammermusik-Festival als politische Utopie?
Warum nicht? Ich will gar nichts schönreden, von wegen, dass wir da ein Fest veranstalten, und 50 Flüchtende und 50 Einheimische tanzen zusammen und liegen sich in den Armen. Das passiert nicht, weil es nicht erlaubt ist. Wir dürfen nicht mehr in die Lager rein, die Flüchtlinge dürfen das Lager nicht verlassen, weil sie keinen Aufenthaltsstatus haben.
Das war bei der Premiere noch anders?
In den ersten Jahren passierten ständig Begegnungen. 2016 haben Danae und ich uns ein Klavier in das Flüchtlingslager Kara Tepe liefern lassen, und wir haben spontan für die Kinder und Jugendlichen gespielt. Mozart, Brahms, Strawinsky, alles querbeet. Wie die Kinder mit uns umgegangen sind – fantastisch! Wenn wir in einer deutschen Schule spielen, sehen sich die Kinder nur als Zuschauer und trauen sich nichts zu sagen. In Kara Tepe sind sie ganz nah an uns und das Instrument ran, wollten es berühren, Tasten drücken, mitspielen. Die Kinder hatten noch nie Mozart gehört. Einer fragte: „Von welcher Band ist das?“ Ein anderer fragte, ob man den auch auf Spotify finde und wie man ihn schreibt. Ich habe ihm den Namen dann buchstabiert: M-O-Z-A-R-T. Mittlerweile haben wir auf Lesbos zwei Education-Programme für Kinder und alle Schulen besucht. Der nächste Schritt wäre eine Musikschule zu eröffnen.
Die Geschichte der Insel Lesbos reicht bis in die Antike. Sie war Sehnsuchtsort des modernen Massentourismus. Heute gilt sie vielen als „Schandfleck Europas“. Wie kann man in dieser widersprüchlichen Gemengelage ein Musikfestival kuratieren?
Es kann nicht sein, dass die Insel nur als Flüchtlingsinsel wahrgenommen wird und die zweieinhalb tausend Jahre davor einfach ausgeblendet werden. Auch die Bürger von Lesbos fühlen sich alleingelassen und wissen nicht mehr, wie sie mit der Situation fertig werden sollen. Lesbos ist immer noch der magische Ort, wo West und Ost aufeinanderprallen, der Ort, an dem Sappho, 600 vor Christus, ihre Gedichte geschrieben hat. Das ist alles noch da, auch wenn es öffentlich überlagert wird. Für unser Festival suchen wir Themen, die philosophisch und psychologisch den Geist der Zeit und der Insel treffen. In diesem Jahr gibt es neben den Konzerten zum Schwerpunktthema Freiheit eine Kunstausstellung. 2018 haben wir zum Thema Genesis eine Konferenz gemacht und Wissenschaftler und Experten eingeladen, eine neue Identität für die Insel zu finden. Die Musik muss das Motto ausgestalten und die Idee dahinter examinieren können.
Musik als Mittel der politischen Weiterbildung?
Die Idee, ich spiele etwas und beim Zuhörer regt sich was, das ist kein politisches, sondern ein menschliches Ideal. Es geht darum, einen besseren Zugang zu sich selbst zu finden. Musik machen war für mich nie reines Entertainment, um den Alltag zu vergessen. Historisch gesehen ging es immer auch darum, dass Kreativität sich gerade dort Bahn bricht, wo es Leid und Unterdrückung gibt. Denken Sie an die Call-and-Response-Gesänge von afroamerikanischen Sklaven, aus denen sich viel später der Jazz entwickelt hat. Oder wie aus der Unterdrückung von liberalen, demokratischen Idealen die romantische Bewegung entstanden ist.
Wie übersetzt man so einen Anspruch in ein Programm?
Eines der zentralen Werke in diesem Jahr ist die Uraufführung der griechischen Komponistin Konstantia Gourzi. Sie hat einen Liederzyklus komponiert, der auf Gedichten von Wilhelm Müller basiert, der auch schon die Gedichte zu Schuberts „Winterreise“ geschrieben hat. In der Zeit der griechischen Revolution, zwischen 1821 und 1826, hat er über 50 Freiheitsgedichte geschrieben, die er „Lieder der Griechen“ nannte. Während des Festivals versuchen wir in unserer Einführung, einen Zugang zu den Stücken zu finden. Wie tangiert es das Freiheitsthema, welche Ideale liegen ihnen zugrunde? In der Gesellschaft stehen sich Extreme unversöhnlich gegenüber, es kommt schnell zu Anfeindungen. Das Festival ist der Versuch, wieder die Mitte zu finden.
Kann es die Umstände auf der Insel nachhaltig verbessern?
Revolution beginnt immer in der Musik, in der Kunst. Kultur ist der Politik immer drei Schritte voraus. Das, was in der Kultur aufbrodelt und wichtig wird, damit wird Politik fünf oder zehn Jahre später konfrontiert. In einer freien Gesellschaft triggert die Kultur die Politik und nicht umgekehrt. Das Molyvos-Festival ist dafür ein gutes Beispiel.