Zum 80. von Kirsten Dene : Mit dem Feuer spielen
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Grande Dame: Kirsten Dene als Helene Alving Bild: Picture Alliance
Von ihr könnten die lustlosen Mimengewerbler von heute viel lernen: zum achtzigsten Geburtstag der funkensprühenden Theaterschauspielerin Kirsten Dene.
Eine gigantische Schauspielerin. Der Größten eine. Der Komischsten sowieso. Der Tragischsten und Gewaltigsten auch. Zwar feiert sie heute ihren achtzigsten Geburtstag. Aber es ist eine Schicksalsschande, dass man von der in allen Theaterfarben geistesgegenwartsperfekt Funkensprühenden nur noch im Imperfekt sprechen kann, seit ein böser Krankheitsschlag sie vor ein paar Jahren endgültig von der Bühne vertrieb.
Dabei täte eine Kirsten Dene dem Theater bitter not. Als ein Beispiel großer Kunst. Als das überlegene Gegengewicht einer zauberisch phantasievollen, textverliebten Konstruktionsliebhaberin – wider das landläufige moralinblasse text- und figurenfeindliche vor sich hin werkelnde Dekonstruktions- und Identitätsgeschwader.
Primadonna assoluta
Wie sie, die Primadonna assoluta der Peymann-Ensembles in Stuttgart, Bochum und (vor allem!) Wien mit ihrer eminenten Stimme, einem Paradoxon aus Sanftheit und Aggression, einem roh geriebenen Alt auf Goldgrund wie auf schwingenden Saiten aus Girren und Gurren, schamhaftem Locken und brachialem Verführen ihre Figuren umgarnte; sie liebte; sie umwarb; sie mit ihrer unnachahmlichen Erotonen-Verve förmlich sturmreif schoss; ihnen zu einem abgrundkomischeren, abenteuerlicherem Leben verhalf; sie mit ihren Seelenkunstfängen ergriff und emporwirbelte; keine Verächterin der Dramatiker, vielmehr ihre wundersame Komplizin – davon, seid ehrlich!, könnten die landauf, landab immer rat-, freud- und lustloser werkelnden Mimengewerbler von der großen Dene lernend profitieren.
Still rumorende Pointen
Sie gingen da in die Schule einer Riesin, die immer mit dem Feuer der Überwältigung spielte, in jeder Sekunde aber auch die Tränenkosten im Gelächter und die Komikdividende im Tragischen bar beglich. Auch wenn sie gar nichts machte, außer hie und da in ein kaltes Wiener Schnitzel zu beißen und „Ein gutes Schnitzel!“ knurrend zu schwärmen, als sie den zartesten aller Hermann Beils gab in Thomas Bernhards Dramolett „Claus Peymann und Hermann Beil auf der Sulzwiese“, schlug sie daraus die bestbösen, weil hinterhältig still rumorenden Pointen.
So bleibt halt nur das Glück dankbarer Dene-Erinnerung. An ihre Kunigunde in Kleists „Käthchen“ (Stuttgart, 1977), wie sie in hinreißend unanständigen blechernen Prothesen-Dessous den Grafen Wetter vom Strahl als strippende Mythenlady in der Bar zum Armen Ritter in ein Verführungsseil einwickelte, in den Kokon einer Intrigenspinnenfrau. Oder wie sie als Peymanns Thusnelda in der Bochumer „Hermannsschlacht“ (1980) die Teutonenbären tanzen ließ. Und dann die Figurenperlenkette ihrer schillernden Kraft- und Saftweiber! Zum Beispiel als Leonore Sanvitale („Tasso“, Bochum), als „Dene“ in Bernhards „Ritter, Dene, Voss“ (Salzburg), als kurios aufsässiges Sehnsuchtswesen in Turrinis „Alpenglühen“ und „Schlacht um Wien“, als matronales Tablettenmonster in „Eine Familie“ von Tracy Letts, als Schnitzlers liebeverlorene Frau Wahl im „Weiten Land“, als mörderische Tante Abby in „Arsen und Spitzenhäubchen“, als eine alle Lebensspinnweben herrlich ungeniert wegfegende Frau Alving in den „Gespenstern“ (allesamt in Wien) – da durchwogte sie alleweil die Bühne wie ein Schlachtschiff, das andere herrlich leckschoss, aber in Würde und Witz selbst auf Abgrund lief.
Völlig unsentimental, aber immer herzbewegend human und überwältigend lebendig. Wenn man ihrer Verwandlungskunst zugeschaut hatte, ging man reicher und beschenkter, als man kam. Das war einmal. Und fehlt so sehr.