Kehlmanns „Tyll“ in Köln : Fragezeichen auf zwei Beinen
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In Julian Pörksens und Stefan Bachmanns „Tyll“ waten die Darsteller durch dunkles Gewässer. Bild: Tommy Hetzel
Stefan Bachmann eröffnet die Theatersaison in Köln mit Daniel Kehlmanns „Tyll“. Was die Adaption eines großartigen Romans hätte werden können, schafft nicht viel mehr, als ebenjenen nachzuerzählen.
„Schuhe“ werden nicht geworfen. Das kurze, prologartige Kapitel von Daniel Kehlmanns Roman „Tyll“, der die titelgebende Figur aus dem späten Mittelalter in die Wirren des Dreißigjährigen Krieges versetzt, kommt nicht auf die Bühne. Tyll Ulenspiegel wird darin als fahrender Spielmann eingeführt, der mit einem Planwagen ins Dorf rollt und ihn auf dem Kirchplatz in eine Bühne verwandelt. Erst führt er eine Tragödie, dann eine Komödie auf, tanzt auf dem Seil und bringt schließlich die frommen Bewohner dazu, den rechten Schuh auszuziehen und ihn wegzuwerfen, um sie dafür als leichtgläubige Deppen zu beschimpfen, so dass sie übereinander herfallen und sich prügeln. Darauf, dass Tyll als Spieler, Akrobat, Unruhestifter und mit allen Wassern gewaschener Theatermann vorgestellt wird, kann verzichtet werden, denn aus dem ganzen Roman, der dafür beste Anlagen mitbringt und vertrauenswürdige Zeugen aufruft, soll hier Theater werden. Nur ein knappes Jahr nach seiner Veröffentlichung bereitet ihm das Schauspiel Köln die Bühne.
Die Bühnenfassung, die der Regisseur Stefan Bachmann und der Dramaturg Julian Pörksen angefertigt haben, beginnt vielmehr mit der dritten Episode („Zusmarshausen“), das der zweiten („Herr der Luft“) vorangestellt wird, um danach der sprunghaften, die Chronologie missachtenden Erzählweise der Vorlage zu folgen. So endet das Stück wie der Roman mit „Westfalen“, seine erste Szene mit der großen Feldschlacht bei Zusmarshausen und seine letzte Szene mit den Friedensverhandlungen in Osnabrück spielen im gleichen Jahr: 1648. Was Daniel Kehlmann nicht ernsthaft als historischen Roman tarnt, kann auf dem Theater noch weniger für sich behalten, was in ihm steckt: Ein postmodernes Spiel um Geschichte und Literatur, Sagen und Mythen, das raffiniert gebaut und poetisch formuliert ist.
In Neoprenanzügen durch knöcheltiefes Wasser
Die Bühne, die Olaf Altmann ins Depot 1 der Ausweichspielstätte in Mülheim gesetzt hat, ist groß, wüst, leer und nachtschwarz. Ihr Boden ist knöcheltief unter Wasser gesetzt, durch das die Schauspieler, die Neoprenanzüge unter den prächtig-historischen, von Jana Findeklee und Joki Tewes angefertigten Kostümen tragen, waten und wanken, stampfen und staksen, aber auch mal reiten, tanzen oder auf dem Rücken schwimmen. Eine fluide, doch starke Grundlage, die vieldeutig symbolische Wellen schlägt: als Schattenreich und als Schlachtfeld, als Styx und als Blutbad, als Projektionsfläche, die funkelt und gruselt, die Figuren spiegelt und verzerrt, verfließen und sich auflösen lässt. Nichts bleibt so, wie es scheint.
Aber dieses Becken ist auch eine allzu dominante Setzung, die keine Aufbauten zulässt und das szenische Spiel einschränkt und reduziert. Die Textfassung ist deutlich bemüht, mit dem Roman so respektvoll und „werkgetreu“ umzugehen, wie Daniel Kehlmann das in seiner 2009 gehaltenen Salzburger Rede gegen das „Regietheater“ und dessen Begriff der „Aktualisierung“ angemahnt hat. Daraus folgt eine klare, konzentrierte Aufführung, welche die Handlung kürzend nacherzählt und in kunstvoll bewegte Bildern setzt. Am Anfang reitet Graf Martin von Wolkenstein (Popanz mit Perücke: Seán McDonagh), „noch nicht fünfundzwanzig und doch schon korpulent“, wie der Erzähler bemerkt, herein, um den „begnadeten Spaßmacher“ zu suchen, und findet, aus der heilen Welt seines Schlosses kommend, ihn in einem Land, das der Krieg verwüstet hat. Was zunächst ein Erzähler (Ines Marie Westernströer) vorantreibt, übernehmen bald die Figuren selbst, die auch in der dritten Person sprechen.