Zum 70. von Jossi Wieler : Der Texthineinhorcher
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Sinnsensibel: Der Regisseur Jossi Wieler bei den Proben in diesem Sommer in Salzburg Bild: Ruth Walz
Ein höflicher Welt- und Menschenkenner, der seinen Zuschauern Raum für eigene Gefühle lässt: Zum siebzigsten Geburtstag von Jossi Wieler.
Vielleicht schickt ihm Elfriede Jelinek einen Geburtstagsgruß, denn mit seinen subtilen Inszenierungen hat Jossi Wieler entscheidend mitgeholfen, dass sich ihre weder leicht zu lesenden noch leicht aufzuführenden Stücke auf vielen Bühnen durchgesetzt haben. Angefangen hat dies mit „Wolken.Heim“ 1994 am Schauspielhaus Hamburg im Bühnenbild von Anna Viebrock und zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Es folgten die Uraufführungen von „er nicht als er“ (1998, Salzburger Festspiele), „Macht nichts“ (2001, Zürich) und „Rechnitz (Der Würgeen-gel)“ 2008 an den Münchner Kammerspielen. Hier wie auch sonst bewies Jossi Wieler sein hellhörig-sensibles Ohr für die verborgene Musik der Sprache und für die erzählerische Dimension der Musik. Souverän vermag er bekannten Werken neue Echoräume zu öffnen und unbekannten ihre verschüttete Relevanz zurückzugewinnen. So wurde er zu einem der präzisesten und überdies elegantesten Regisseure unserer Zeit, der sowohl Sprech- wie Musiktheater historisch bestens informiert und aus jetziger Perspektive zu interpretieren versteht.
Bescheidenes Auftreten
Geboren wurde der höfliche Welt- und Menschenkenner in Kreuzlingen am Bodensee in einer liberalen jüdischen Familie, die 1933 aus Deutschland in die Schweiz emigriert war. Von 1972 bis 1980 lebte er in Israel und erlernte sein Regiehandwerk an der Universität von Tel Aviv. Das damalige deutsche Theater interessierte Jossi Wieler schließlich so sehr, dass er es unbedingt mitgestalten wollte. Er wurde Regieassistent am Düsseldorfer Schauspielhaus und begann danach selbst zu inszenieren. 1988 engagierte ihn Frank Baumbauer ans Theater Basel, 1993 wechselten beide ans Schauspielhaus Hamburg. Mit seinem bescheidenen, kultivierten Auftreten und seinen oft spektakulär unspektakulären Arbeiten, die nicht auf Belehrung, Provokation oder rabiate Aktualisierung bauen, sondern auf die Verführung zum eigenen Denken und Fühlen, wurde Jossi Wieler rasch von Publikum und Kritik anerkannt. Regieführen heißt für ihn, sagte er einmal dieser Zeitung, „einen geschriebenen Text - sei es ein literarischer, sei es ein musikalischer - zu analysieren, in ihn hineinzuhorchen und ihm einen für alle Sinne fassbaren Klang zu geben. Mein Ziel ist es, Texte so umzusetzen, dass sie uns heute etwas bedeuten.“
Jossi Wieler ist der Gegenentwurf zu all den pompösen, egomanen Regieberserkern – und tut auf seine stille Weise meist mehr für die Stücke oder Opern, mit denen er sich beschäftigt als viele seiner Arbeitskollegen. Intendant wollte er nirgends werden, außer an der von ihm geliebten Staatsoper Stuttgart, wo er 2011 zusagte und mit Sergio Morabito für ein preisgekröntes zeitgenössisches Programm sorgte. Seinen Vertrag verlängerte Wieler auf eigenen Wunsch nicht und arbeitet mithin seit 2018 wieder als freier Regisseur. Heute wird dieser wahre Freund des Theaters siebzig Jahre alt.