„Alkestis“ in Epidaurus : Die Königsmemme von Thessalien
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Kurz vor der Premiere: Das antike Theater von Epidaurus, entstanden um das Jahr 330 vor Christus Bild: Hubert Spiegel
Zehntausend Sitzplätze am Rand der Peloponnes: Johan Simons inszeniert Euripides im antiken Theater des Asklepios und bringt die todgeweihte Alkestis zum Tanzen.
Zuerst kommen die Nachtfalter, dann die Fledermäuse. Als die Sonne allmählich hinter den Bergen von Argos versinkt, ist das große Theater von Epidaurus noch leer. Die Hitze des Tages lässt ein wenig nach, und vom Meer her weht ein schwaches Lüftchen, das sich alle Mühe gibt, aber es will einfach kein Wind daraus werden.
Hinter der Orchestra, der kreisrunden Bühnenfläche, steht ein kleiner Wohnwagen. Das ist der Palast des Königs Admetos. Weiter hinten sind einige Campingzelte zu sehen, zwischen denen ein alter VW-Bus und ein blauer Käfer mit einem Dachgepäckträger stehen. Ein Junge ist in sein einsames Fußballspiel versunken. Dass er ein Königssohn ist und bald seine Mutter verlieren wird, ist noch nicht zu erahnen. Fremdartig und bedrohlich in diesem Nomaden-Idyll wirkt der große schwarze Mercedes, der rechts neben dem Palast zu lauern scheint. Die Heckklappe ist weit geöffnet, sie ist der Eingang zur Unterwelt, denn das Gefährt gehört Hades, dem Totengott. Er hat hier geschäftlich zu tun.
Seit etwa 2300 Jahren kommen Menschen an diesen Ort, um anderen Menschen dabei zuzusehen, wie sie auf der Spielfläche etwas darstellen, was sie nicht sind und nie sein werden: Götter, tragische Helden, mythische Frauen, Königskinder. An diesem Abend wird vor etwa 3500 Zuschauern die Geschichte von Alkestis erzählt, der jungen Gattin des Admetos, der Euripides eines seiner frühesten Werke gewidmet hat. Die Uraufführung fand im Jahr 438 vor Christus statt, aber nicht hier in Epidaurus, sondern etwa 140 Kilometer weiter nordwestlich, in Athen, wo Euripides in jenem Jahr mal wieder nur den zweiten Platz bei den Dionysien belegte.
Das Monstrum ist gezähmt
Es ist, um es vorsichtig auszudrücken, ein seltsames Stück über einen Feigling, eine echte Königsmemme, und seine ehrgeizige junge Frau, die eine Karriere als Opfer anstrebt. Im Leben galt sie als die beste aller Ehefrauen und Mütter, im Tod will sie das beste aller Opfer sein. Herakles wird ihr einen Strich durch die Rechnung machen. Bei Euripides ist das ein glückliches Ende. Aber Johan Simons hat seine Zweifel daran.
Der Intendant des Bochumer Schauspielhauses ist mit seinem Ensemble und einer Menge Technik einer Einladung des Athen- und Epidaurus-Festivals gefolgt. Mehrere große Lastwagen wurden bepackt, doch für eine Nähmaschine reichte der Platz nicht. Jetzt sitzen die Bochumer Theaterschneiderinnen hadernd in einem offenen, zwischen alten Pinien gelegenen Pavillon, der als Büro, Werkstatt und Künstlergarderobe dient. Wer war im Olymp eigentlich für die Kostüme zuständig? Wer schneiderte den Umhang und das Unterkleid für Zeus? Gab es außer Hephaistos, dem unglücklichen Gott der Schmiedekunst, überhaupt Handwerker im Reich der Götter?