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„Dido and Aeneas“ in Weimar : Hallo, hier Jupiter am Apparat

  • -Aktualisiert am

Muss man sich merken: Amira Elmadfa (Mitte) als Dido. Bild: Candy Welz

Am Deutschen Nationaltheater Weimar singen die Götterlieblinge in Henry Purcells „Dido and Aeneas“ als Menschen im Hotel wunderschön. Doch leider haben sie und die exzellenten Musiker mit Störgeräuschen zu kämpfen.

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          Was machen Götterlieblinge zwischen Heldentaten, die Weltgeschichte schreiben? Richtig: Sie lassen sich irgendwo im Nirgendwo von einer Königin die Wunden lecken. Die ist strikt tugendhaft, macht aber auch mal eine Ausnahme, verliebt sich prompt und steuert in den Abgrund. Denn der Held muss weiterziehen, sonst wäre das Abenteuer aus. Die Mythologie ist voll von solchen Geschichten, der Frauenverschleiß von Helden hoch. Sie sind dennoch Sympathieträger, schließlich haben sie Wichtiges vor: Karriere statt Kinder, Reichsgründungen statt Eigenheimbau. Da sind Kollateralschäden legitim.

          Vergils kurz vor Christi Geburt gedichtete Geschichte von Aeneas und seinem Aufenthalt in Karthago unterscheidet sich von diesem Modell. Für ihn ist Dido nicht nur ein Etappen-Amüsement zwischen Trojanischem Krieg und römischer Grundsteinlegung. Sie ist selbst Heldin. Ihre Liebe wird psychologisch in allen Farben ausgeleuchtet, sie leidet und der Leser mit ihr. Aeneas kommt nicht gut weg. Seine Heldenrüstung hat Kratzer, als er weiterzieht.

          Henry Purcell versetzte diese Spannung aus schicksalhafter Tragik und gegenwärtiger Gefühlstiefe in eine der ersten durchkomponierten Opern Englands: „Dido and Aeneas“ aus den 1680er Jahren setzt der sterbenden Dido mit dem berühmten Lamento „Remember me, but forget my fate“ ein Denkmal. Die Musik durchläuft dabei sämtliche Stadien von Glück und Hoffnung, Trauer und Tod. Purcell spielt mit Raum und Zeit, mit Echo-Chören, Tonartenbezügen und zirkulierenden Ostinati. Er verwendet die Musik als Wegweiser im unsicheren Dauerzustand zwischen Augenblick und Ahnung.

          Ein Reisender drängt sich auf

          In Corinna von Rads Inszenierung von „Dido and Aeneas“ am Deutschen Nationaltheater Weimar ist Karthago ein verschlafenes Siebziger-Jahre-Hotel mit grässlichem Teppichmuster, irgendwo im Tal der Ahnungslosen. Dido mimt die im Morgenmantel herumschlurfende Frustration, eine tuntige Concierge (Sorceress) und zwei Putzhexen agieren im Zeitlupentempo. In das narkotische Szenario trampelt eine frei erfundene Sprecherfigur (Krunoslav Šebrek): „The Traveler“ erzählt dem Publikum den griechischen Mythos und seine eigene, so ganz unerwartet, ähnliche Liebesleid-Geschichte. Später zitiert er in einer endlosen Szene hysterisch aus dem Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Er quasselt überhaupt am laufenden Band in den Opernplot hinein, in die wunderbaren Echo-Chöre, in die pastellfarbene, fein gewebte Musik. Dido muss sich in ihrer Sterbeszene arg konzentrieren, um den nervösen Reisenden zu ignorieren. Aeneas’ schmerzhaft errungene Entscheidung, die Geliebte zu verlassen, gerät schließlich sogar zum Männerstammtisch: „Man kann auch bleiben“, schnattert der Reisende, als wäre das Sinn und Zweck einer Heldengeschichte. Er ist kein Held – was weiß er schon? Zwischendrin krachen Licht-, Schlagwerk- und Tonband-Effekte in die Oper, es qualmt allerorten, das alte Münztelefon – Jupiter ruft an – klingelt gellend, und der halbnackte Chor tobt lärmend über die Holzbühne. „Scheiße!“, ruft Aeneas ärgerlich und wirft das geschnitzte Holzschiffchen weg. Nicht nur seine Nerven liegen blank.

          Die grandiosen Sänger und exzellenten Musiker kommen schlecht weg

          Ins Hintertreffen geraten die Musiker und Sänger. Dabei wird hier Grandioses, in Teilen sogar Weltklasse geleistet, allen voran von Amira Elmadfa (Dido). Ihren butterweich timbrierten, alle Gefühlslagen nuanciert durchleidenden Mezzosopran wird man sich merken müssen. Ebenso überzeugt der Countertenor Nils Wanderer (Sorceress) in hübsch-gehässigem Ausdruck, dem die Freude über Didos Schicksal abzulauschen ist. Heike Porstein (Belinda) sowie Sujin Bae und Pihla Terttunen (als Putzhexen) bilden zusammen mit dem vorzüglichen Chor einen verlässlichen Rahmen. Uwe Schenker-Primus (Aeneas), der graubärtig-altväterlich daherkommt, klingt brav, nicht wirklich heldenhaft. Man traut diesem Aeneas nach der Karthager Misere eher einen Antrag auf Frührente denn eine kühne Reichsgründung zu. Auch die exzellenten Musiker leiden im Verlauf des Stückes, das durch die Sprecherrolle und Arien von John Dowland und Robert King auf fast das Doppelte gedehnt wird, an Erschöpfung.

          Dominik Beykirch hat als Dirigent die Mitglieder der Weimarer Staatskapelle, die erstmals auf historischen Instrumenten spielen, gut im Griff. Doch Qualm, Krach, Schlagwerk, das dauernde Gequassel des Reisenden zeigen auch hier ihre Wirkung. Die Musik wirkt zunehmend unsauber, fahrig, zu harzig im Klang. Sie kann kaum das Innenleben der Figuren zeichnen, arbeitet zu oft gegen Störgeräusche an. Inseln ruhenden Wohlklangs sind selten, etwa wenn Friederike Beykirch (Second Woman) über den Tod des Jägers Aktaion klagt und auf das schlimme Ende vorausweist oder wenn Chor und Continuo-Gruppe am Schluss die hängenden Flügel Cupidos in sanfte Melodiebögen setzen.

          Mythos und Liebe eint, dass sie nur eine begrenzte Dosis Rationalismus vertragen. In Weimar erleiden beide eine Überdosis.

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