„Hamlet“ und „Elektra“ in Berlin : Der Regiewickeltisch der Mörderkinder
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Todestanz zu Pop-Musik: Christopher Nell tanzt als Hamlet mit der leblosen Ophelia, gespielt von Anna Graenzer in der Berliner Haußmann-Inszenierung. Bild: Joachim Fieguth
Gipfeltreffen in Pop-Windeln: Stefan Pucher inszeniert die „Elektra“ des Sophokles im Deutschen Theater, Leander Haußmann den „Hamlet“ von Shakespeare im Berliner Ensemble.
Sie gehören nicht sich selbst. Sie hören sklavisch auf fremde, unheimliche Stimmen. Und möchten nichts lieber, als nur auf sich selbst zu hören. Das zerreißt sie. Und macht sie unendlich einsam. Eine Prinzessin aus dem antiken Griechenland und einen Prinzen aus dem alten Dänemark. Brüderlein und Schwesterlein im tragischen Geiste. Ihr Auftrag heißt: Mord. In Berlin treten sie nun zum tödlichen Paarlauf an. Die Prinzessin im Deutschen Theater, der Prinz im Berliner Ensemble. Ein sehr seltsames Gipfeltreffen.
Prinzessin Elektra hört auf die Gebotsstimmen des Gottes Apollon, der ihr befiehlt, ihre Mutter Klytaimestra zu töten, die ihren Mann Agamemnon einst mit dem Beil im Bade schlachtete, als er aus dem Krieg in Troja nach Mykene heimkehrte, damit sie mit ihrem Buhlen Aigisthos weiter ehebrechen könne. Orest, der Bruder der Elektra, den sie als Kleinkind vor den Klauen der ruchlosen Mutter rettete und in der Fremde unterbrachte, wird heimkehren und Elektras rächendes Mordwerkzeug sein. Sophokles lässt im Jahr 413 vor Christus in seiner Tragödie „Elektra“, die auch „Warten auf Orest“ heißen könnte, keinen Zweifel am Recht des Mörderkindes auf den götterrechtlichen Muttermord. Zumal seine Klytaimestra keine Chance auf einen Hauch von rechtfertigender Motivation hat: Schließlich hatte ihr Mann Agamemnon die Tochter Iphigenie auf der Insel Aulis einer Göttin geopfert, damit die dort festliegende Kriegsflotte der Griechen wieder frischen Wind kriegt, und aus dem Krieg um Troja eine Beute-Hure namens Kassandra mit nach Mykene gebracht - was Sophokles mehr oder weniger alles unterschlägt. Elektra (und Orest) müssen den Hass und die Wut auf die Mutter mit sich selber ausmachen.
„Elektra“ als Revue-Nummer
Im Deutschen Theater wird dies Mörderkind von Stefan Pucher in Szene gesetzt, dem nun inzwischen auch schon in die Jahre gekommenen Videospiele-Veteranen des sogenannten Jungen Theaters der frühen nuller Jahre dieses Jahrhunderts. Man blickt auf eine riesenhochtreppige Show- und Revue-Anlage. Darauf agiert Elektra in der Gestalt von Katharina Marie Schubert als dünne, kieksstimmige pampige Rotzlöffeline im androgynen Nadelstreifen-Frack, den sie zugunsten der Präsentation eines Mythen-Miederhöschens ablegt (in dem allerdings der Sender für ihr am Kopf angeklebtes Mikrophon höchst ungünstige ausbeulende Figur macht). Man würde ihr jedwedes Beleidigtsein über die verlorene Wahl zur Klassensprecherin im Show-Model-Kurs der „Mykene Follies“ zutrauen, aber keine Wut zum Mord.
Sie greift denn auch gerne nur zur Elektroklampfe, um mit dem einen oder anderen Popsong gegen Klytaimestra anzustinken, die mit einem straußenfederngesäumten und strassbesetzten Glitzer-abendkleid die zynische Puffmutter in einer Art Bordell gibt, worin die Männer auch Plisseekleider über den Hosen tragen und Felix Goeser als Orest und ziemlich geheuerlicher Vestit irgendwie einen aus dem Show-Exil heimkehrenden Türsteher mimisch transzendiert.
Leider bespaßt Haußmann nicht nur das Theater-Genre
Man tanzt gerne miteinander, wälzt sich schon auch mal auf dem Boden und rennt gegen Wände, während auf Riesenbildschirmen Videos vom Mord an Agamemnon und dann vom Mord an Klytaimestra ablaufen, wobei aber die Toten nicht tot, sondern nur Bilder sind, auf die eingehackt wird. Aber Bilder bluten nicht. So wickelt Pucher, der gute, alte Videot des Theaters, die alte Tragödie in Pop- und Schmock-Windeln einer matten Mythen-Operette. Auf „Bravo“-Niveau: Papi ist tot, Mami ist böse - was mache ich nur? Es wird furchtbar schlecht gesprochen. Aber es klingt irgendwie immer nach „Is ja juut, is jemacht!“ Man sieht keine Welt, man blickt auf eine Masche. Das Theater drückt sich vor der Tragödie und ihren Menschen. Und alle Grausamkeit ist ans Video delegiert.
Ein paar hundert Meter weiter, im Berliner Ensemble, steht der analoge Regiewickeltisch. Hier inszeniert Leander Haußmann, der Veteran der Spaß-Fraktion des sogenannten Jungen Theaters, der seit einiger Zeit gottlob nur noch Filme gedreht hat („Sonnenallee“ etc.), das andere Mörderkind, den Prinzen Hamlet. Dieser hört in William Shakespeares Stück aus dem Jahr 1603 auf die Stimme eines Geistes (seines Vaters), die ihm befiehlt, den „schnöden, unerhörten Mord“ zu rächen. Der Bruder des Vaters hatte ihm mörderisches Gift ins Ohr geträufelt, dann die Frau des Vaters ins Bett und zur Ehe gekriegt. Und nun soll der Sohn zusehen, wie er zu einem Mörderkind werde. Und so könnte der „Hamlet“ auch „Warten auf Gelegenheiten“ heißen.