Mikis Theodorakis ist tot : Der Lead-Sänger Griechenlands
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Noch 2018, mit 93 Jahren, trat Mikis Theodorakis als Redner auf einer Kundgebung in Athen auf und schwenkte danach die griechische Fahne. Bild: dpa
Er schrieb Filmmusik, Schlager, Oratorien und Symphonien, war als kosmopolitischer Patriot und Volkstribun eine Epochenfigur. Jetzt ist der Komponist und Politiker Mikis Theodorakis mit 96 Jahren gestorben.
„Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied Ein leidig Lied!“ So tönt der Brander in Auerbachs Keller im „Faust“ von Johann Wolfgang Goethe. Und für die hehre Kunst der deutschen Klassik und des auf sie eingeschworenen Bildungsbürgertums schien dies unumstößlich. Aber schon Robert Schumann hat im „Faschingsschwank aus Wien“ die „Marseillaise“ zitiert: Anspielung womöglich wider die Restauration Metternichs; auch wenn er diesem keineswegs grimmig opponierte. Entsprechend schwankend bleibt denn auch das Verhältnis von Musik und Politik: Autonomie oder Engagement. Das Primat des Ästhetischen und das soziale Gewissen, die gar „absolute“ Musik und die populäre, auch die angewandte bilden ein Kräfte-Vieleck, dem man sich nicht so leicht entziehen kann. Prototypisch war der Konflikt zwischen Schönberg und seinem abtrünnigen Schüler Hanns Eisler, der schließlich darunter litt, in der DDR mehr als Kommunist denn als Komponist gefeiert zu werden. Hans Werner Henze ab 1965 und der frühe und mittlere Luigi Nono standen für auch politische Musik, hielten gleichwohl Abstand zu Agit-Prop und fetzigen Massen-Idiomen.
Mikis Theodorakis hat die quasi Dreizack-Ästhetik von elaborierter Komposition, aktivem gesellschaftlichem Widerstand und überaus erfolgreicher Popularisierung nicht nur gesucht, sondern auf seine Art auch eindrucksvoll durchgehalten. So wurde er zum Lead-Sänger eines freien Griechenlands und dies nicht zuletzt im Sinne vitaler Virilität. Weltruhm nämlich erlangte er schon 1964 mit der Musik zu Michael Cacoyannis’ Film „Alexis Sorbas“, in dem Anthony Quinn zum Urbild des maskulin robusten, ewig Sirtaki tanzenden Vollblut-Griechen wurde – und so ein Klischee installierte, das lange Bestand hatte. Woran die mitreißende Musik von Theodorakis erheblichen Anteil hatte. Weltweit hat sie ein Bild vitaler Folklore geprägt, das durchaus den Ansprüchen der Unterhaltung genügte. Ob dies alles „authentisch“ war, tut wenig zur Sache, wirkte doch Theodorakis’ Soundtrack quasi als Erfindung des Ursprünglichen – ähnlich wie manches bei Franz Schubert zur Volkstümlichkeit zweiten Grades wurde.
War „Alexis Sorbas“ noch eindeutig auf Kreta lokalisiert, so spielte der Polit-Thriller „Z“ von Costas-Gavras 1968 in einer anonymen Diktatur. Obwohl er eindeutig auf Geschehnisse im Griechenland von 1963 zu beziehen war. Und wieder trug Theodorakis’ suggestive Musik zur eindringlichen Wirkung bei.
Kunst-Folklore und politisches Eingreifenwollen gehörten bei ihm zusammen. Und sein Leben wurde gleichermaßen zur Leidens- wie Erfolgsgeschichte. 1925 auf der Insel Chios geboren, schloss er sich schon 1943 dem Widerstand gegen die deutschen Besatzer an, wurde nach dem Bürgerkrieg 1952 als gefährlicher Linker auf Strafinseln verbannt, erfuhr Folter und willkürliche Inhaftierung – so nach der Rückkehr aus dem Pariser Exil 1967 erneut durch das Obristen-Regime. Theodorakis, der kosmopolitische Patriot, wurde weltweit zur Symbolfigur eines tapferen Antifaschismus, zum Heros eines freien Griechenlands. Als Komponist, Dirigent, Sänger, gemeinsam mit Maria Farantouri, vermochte er die Massen zu mobilisieren. Als Volkstribun mit musikalischen Mitteln wurde der große kräftige Mann zur Epochengestalt.
In seinen kompositorischen Mitteln und Strategien war er nicht wählerisch, die Breitenwirkung war ihm wichtiger als ein ästhetisches Reinheitsgebot welcher Art auch immer. Sein Pablo-Neruda-Oratorium „Canto General“ avancierte international zur antitotalitären Hymne, aber er schrieb auch Symphonien. Und im Vorfeld der Olympischen Spiele 2004 in Athen beendete er 2002 seine griechische Tetralogie: Auf „Elektra“, „Medea“ und „Antigone“ folgte 2002 „Lysistrata“, Aristophanes’ keineswegs nur heitere Komödie, in der die Frauen durch Liebesverweigerung ihre Männer vom ewigen Kriegführen abbringen. Im Vorjahr hatte es im Megaron-Theater die „Prometheus“-Uraufführung gegeben, mit Musik von Iannis Xenakis, dem anderen großen griechischen Komponisten, ebenfalls vom antifaschistischen Widerstand gezeichnet, in Paris exiliert. Extreme berührten sich.
So vielgestaltig wie seine Musik waren auch seine politischen Aktivitäten, konsistent, doch undogmatisch, stets anti-rechts, gleichwohl auch links nicht unumstritten. In der Welt des „real existierenden Sozialismus“, so in der DDR, wurde er mit Misstrauen und Ablehnung bedacht, dann wieder vereinnahmt. Die international wichtigen Musiker wie Dmitri Schostakowitsch, Benjamin Britten, Henze und Leonard Bernstein jedoch solidarisierten sich mit ihm in der Gefährdung. Um Widersprüche hat er sich wenig geschert, bekannte in seiner Autobiographie „Die Wege des Erzengels“ lapidar: „Da fängt man etwas Bestimmtes an, und etwas ganz anderes entsteht.“
Wolf Biermann hat ihn so kumpelhaft herzlich wie schnöde tituliert als „eitles Arschloch“, dem man trotzdem nie böse sein konnte. Unbequem blieb er bis zum Schluss, hat immer wieder gegen Krieg und Ausbeutung protestiert, sich heftig gegen die von der Europäischen Union für Griechenland verordneten Spar-Auflagen gewehrt. Schillernd, spontan unberechenbar mag sein politisches Verhalten mitunter gewesen sein, sein Komponieren allemal effektsicher. Als Figur bleibt er eindrucksvoll in Erinnerung. Einen wie ihn wird es nicht mehr geben. Am Donnerstag ist er sechsundneunzigjährig in Athen gestorben.