Siemens-Musikpreis : Ein skeptischer Satyr
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Georges Aperghis in Paris im Oktober 2020 Bild: Rui Camilo
Er liebt die Klarheit für den Hörer und die ironische Distanz, bisweilen sogar Komik anstelle von Pathos: Der Komponist Georges Aperghis erhält den mit einer Viertelmillion Euro dotierten Ernst von Siemens-Musikpreis 2021.
In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieb das unter Bürgerkrieg und repressiven politischen Verhältnissen leidende Griechenland die Künstler reihenweise, darunter auch viele Komponisten, die später in Westeuropa Karriere machen sollten. Anestis Logothetis emigrierte bereits 1945 nach Wien, der in seiner Heimat zum Tod verurteilte Iannis Xenakis flüchtete 1947 nach Paris, 1965 kam Dimitri Terzakis nach Köln. Als Jüngster machte sich 1963 der damals achtzehnjährige Giórgos Apérgis, Sohn eines Bildhauers und einer Malerin aus Athen, auf den Weg nach Paris. Hier schlug er Wurzeln, änderte seinen Namen in Georges Aperghis und gilt heute als französischer Komponist. Das Kuratorium der Ernst von Siemens-Musikstiftung würdigt ihn nun durch den mit einer Viertelmillion Euro dotierten Ernst von Siemens-Musikpreis, den bedeutendsten Musikpreis der Welt, den er am 17. Februar 2022 in der Münchner Muffathalle erhalten soll.
Aperghis lebte wie seine griechischen Kollegen das typische Emigrantendasein. Sie alle waren künstlerische Einzelgänger, doch mit ihrem unangepassten Denken setzten sie im Musikleben Westeuropas unüberhörbar neue Akzente: Logothetis mit seinen erfinderischen grafischen Partituren, Xenakis, der Kenner der altgriechischen Philosophie und Mitarbeiter von Le Corbusier, mit seinen mathematisch basierten Klangarchitekturen, Terzakis mit der mikrotonalen Melodik des östlichen Mittelmeerraums.
Und Aperghis? Sucht man nach einem gemeinsamen Nenner im seinem weitverzweigten, in der Vielfalt der Erscheinungen nur schwer überschaubaren Schaffen, so bietet sich am ehesten seine üppig wuchernde künstlerische Fantasie an. Im Zwischenbereich von Musik, Sprache und Szene treibt sie ihre schönsten Blüten. Als ob Aperghis die altgriechische Einheit der Künste mit einem ironisch gebrochenen Satyrspiel, auf dem schwankenden Boden der Postmoderne, noch einmal kommentieren wollte.
Allein an szenischen Kompositionen enthält sein Werkkatalog über zwei Dutzend Titel, und unter den Stofflieferanten und Librettisten findet man so illustre Namen wie Denis Diderot, Leonardo da Vinci, Claude Lévi-Strauss, Heiner Müller, die feministische Schriftstellerin Catherine Clément und den Altmaoisten Alain Badiou. Auch Goethe, Freud und Kafka fehlen nicht in diesem weltliterarischen Panoptikum. Aperghis tritt gelegentlich auch als sein eigener Librettist in Erscheinung und führt Regie. Er ist in einem Künstlerhaushalt aufgewachsen, hat sich auch mit Malerei beschäftigt und ist ein echtes künstlerisches Multitalent.
Das Pathos großer Formen ist seinen Werken fremd, auch wo sie die äußere Gestalt von traditionellen Dreiaktern haben oder sogar, wie im Monodram „Dark Side“, auf einem Text aus der Orestie von Aischylos basieren; hier rückt der Wechsel der Sprachebenen das erzählte Geschehen auf verfremdende Distanz. Der Ton des Antipathos in Aperghis’ Werken resultiert nicht zuletzt aus dem Verhältnis von Sprache und Musik. Überall schimmern die Einflüsse der experimentellen Musik der Sechzigerjahre durch – der Zeit, als der junge Ankömmling Giórgos in Paris mit der damaligen Avantgarde konfrontiert wurde, als die Texte als musikalisches Material behandelt und das Musizieren auf der Bühne sich im sogenannten Instrumentalen Theater zur szenischen Aktion ausweitete.