Kolumne „Echtzeit“ : Ein Berliner Abend über Iran und Kurdistan
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In der Akademie der Künste wurden auch Filme aus Afghanistan gezeigt. Bild: Anna Vollmer
In der Berliner Akademie der Künste ging es um die Proteste der mutigen Iranerinnen und Iraner. Auch Kunst sollte dort rezipiert werden. Doch welche Rolle spielt sie eigentlich für die Revolution?
Dienstagabend in der Akademie der Künste. „Jin*, Jîyan, Azadî“, Frau*, Leben, Freiheit, heißt die Veranstaltung, die hier heute stattfindet – nach dem Slogan der kurdischen Frauenbewegung, der nun das Motto der Menschen geworden ist, die seit Monaten in Iran auf den Straßen für ihre Freiheit kämpfen. Um sie soll es heute gehen. Und, so wird der Abend zeigen, um viele andere Fragen, die mit diesen Protesten in Verbindung stehen. Um den oft ignoranten Blick des Westens zum Beispiel, der hier von Kurdinnen, von Iranern korrigiert wird. Es soll aber auch, wir sind ja in der Akademie der Künste, Kunst rezipiert werden: Welche Rolle spielt sie für die Revolution?
Der große Saal ist brechend voll, das Programm ist dicht. Eine Keynote des Politologen Ali Fathollah-Nejad, eine Podiumsdiskussion, eine Filmvorführung, eine poetische Intervention, ein Konzert. Beinahe jeder Punkt könnte für sich einen Abend füllen. Um sechs geht es los, fünf Stunden später sitzen wir noch immer im Publikum. In der Pause wird eine junge Frau sagen, sie habe sich schlecht dabei gefühlt, kurz abgedriftet zu sein – wenn man es nicht einmal schaffe, einen solchen Abend durchzuhalten, während andere ihr Leben riskieren!
Was kann man denn tun?
Bei der Podiumsdiskussion sitzen vier Frauen und zwei Männer, Aktivistinnen, Journalistinnen und ein Politologe auf der Bühne. Jede und jeder mit der eigenen – auch biographischen – Perspektive. Das ist das Ziel des Abends, und es ist gut, weil es darum geht, zu verstehen, dass es nicht die iranische Gesellschaft, auch nicht die iranische Diaspora gibt, sondern unterschiedliche Menschen, mit individuellen Ansichten und politischen Positionen, Männer und Frauen, ethnische Minderheiten. Im Publikum sitzend, wünscht man sich deshalb, das Programm wäre ein bisschen weniger kompakt, um mehr Raum zu lassen für die Diskussionen, die sich aus einer solchen Konstellation entspinnen können. Doch die Zeit ist knapp, und am Ende sollen auch die Zuschauer zu Wort kommen – für drei Fragen. Dann ist Pause. Im Foyer sagt eine Iranerin, die 1994 nach Deutschland gekommen ist und die Veranstaltung bereichernd findet, sie hätte gerne noch mehr vom Publikum gehört, gewusst, was die Leute denken.
Ja, was denken sie? Auch hier scheinen die Perspektiven divers zu sein, eine ältere Dame schnaubt mehrfach wütend, murmelt in sich hinein, während andere klatschen. Manche sind ratlos, die erste Frau, die eine Frage stellt, wiederholt sie gleich mehrfach: Was kann man denn tun? Was können wir tun? Außer hier sicher zu sitzen und Solidarität zu zeigen. Zivilgesellschaftlichen Druck auf die Bundesregierung ausüben, sagt Omid Rezaee, Journalist. Und sich informieren, interessieren für die Hintergründe, nicht nur für die schnellen Schlagzeilen. Dann wüsste man, dass der Widerstand, der hier oft als plötzlich wahrgenommen wird, nicht neu sei, sondern seit Jahren schon da.
Und die Kunst? Diskussionen über ihre Bedeutung werden schnell floskelhaft, so auch hier: „Kunst unter einer Diktatur ist immer politisch.“ Was nicht falsch ist, aber auch wenig sagt über die Situation in Iran, die ermordeten Frauen, Männer und Kinder, deren Namen auf die Sitze des Saals geklebt sind. Zum Glück ist es mit den Gemeinplätzen bald vorbei. Sanaz Azimipour, Autorin und Aktivistin, ist kritisch: Lenken wir nicht, fragt sie, zu viel Aufmerksamkeit auf große Namen, inhaftierte Schauspielerinnen, anstatt an diejenigen zu denken, die ihr Leben riskieren ohne den Schutz ihrer Prominenz?
Das Publikum johlt
Nach der Pause hat sich der Saal deutlich geleert. Leider, denn jetzt weiß man wieder, warum Bekräftigungen der Bedeutung der Kunst („Ist immer wichtig!“) oft so nerven: Weil die Kunst die Frage nach ihrer Relevanz am besten selbst beantwortet. Als die Dichterin Tanasgol Sabbagh ihren Auftritt beendet, ein Gedicht vorgetragen hat über sich, ihre Familie, über ermordete junge Menschen und die Frage, was Poesie sein könne, johlt das Publikum. Eine Frau steht auf und klatscht sichtlich ergriffen.
Davor hat die Journalistin Sham Jaff den interaktiven Dokumentarfilm „Big Village“ vorgestellt. Er erzählt die Geschichte von Gewredê, auf Englisch „big village“, einem kurdischen Dorf, das von der Demokratischen Partei des Iranischen Kurdistans nach der Revolution im Irak gegründet wurde, bis die Einwohner ihr Zuhause unter Bomben für immer verlassen mussten. Die Geschichte des Dorfs und seiner Menschen zeigt all das, was verloren geht im Exil. Ein berühmter Radiomoderator, „die Stimme Kurdistans“, ist im Ausland ein Niemand, der Platz, auf dem man Hochzeiten gefeiert hat, zusammensaß, unwiederbringlich verloren. Man kann diesen Film auch online ansehen, sich durchklicken durch Gewredê und in eine Welt eintauchen, die es nicht mehr gibt.
Nach diesem langen Abend radeln wir nach Hause, denken, dass das Programm zwar sehr voll war, das aber daran liegen könnte, dass es an all diesen Geschichten vorher kein Interesse gab und es einiges nachzuholen gibt. Ein Abend müsste dafür eigentlich noch viel länger sein.