Herrndorf-Stück in Frankfurt : Ein Chronist und sein Spinner
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Die wechselnden Stimmen des Herrndorf-Sounds: Miguel Klein Medina (links) und Alicia Bischoff in der Frankfurter Adaption von„Der Weg des Soldaten“ Bild: Felix Grünschloß
Mitten drin und ganz weit weg: Das Frankfurter Schauspiel adaptiert Wolfgang Herrndorfs „Der Weg des Soldaten“ als eigensinniges und witziges Jugendstück.
Der Nürnberger Malereistudent Wolfgang Herrndorf war ein sehr unglücklicher Mensch. Er haderte mit der Akademie, seiner Professorin, seiner eigenen Kunst, die niemand um ihn herum verstehen wollte und die in ihrer altmeisterlichen Technik wie eine reaktionäre Provokation wirkte auf die Gegenwart der achtziger Jahre. Zum Schriftsteller geworden, hat Herrndorf zwanzig Jahre später aus Motiven dieser desolaten Zeit eine Erzählung gemacht, „Der Weg des Soldaten“. Martin Brüggemann (Regie) und Lukas Schmelmer (Dramaturgie) haben sie jetzt für das Schauspiel Frankfurt als Jugendstück adaptiert: Eine einstündige, witzige, aber zusehends auch textlastige Produktion, in der Alicia Bischoff und Miguel Klein Medina die Figuren der Erzählung zum Sprechen bringen, sie agieren dabei auf einer reduzierten, geteilten Bühne, mit sparsamer Requisite und vielfältigen Bild- und Soundeffekten.
Erzählt wird die Geschichte eines namenlosen Nürnberger Malereistudenten, der bei der Aufnahmeprüfung an der Akademie einen anderen Bewerber kennenlernt, Franco Cosic, ein Spanier mit kroatischen Wurzeln (oder auch nicht), der so arglos wie euphorisiert von allen Reizen der Welt durch den Tag spaziert – und dessen künstlerische Projekte aussahen „wie der Weihnachtsbasar der Bodelschwingschen Anstalten. Es war schwer, nicht in Tränen auszubrechen.“
Prägende Phase des Lebens
Wenn Miguel Klein Medina in die Figur des Franco schlüpft (mittels einer Perücke), spricht Alicia Bischoff den Erzähler, im nächsten Moment sprechen sie beide ihn wieder, die eine ironisch-überlegen wie von einer Kabarettbühne herab, der andere mit mehr Körper, mehr Herz. So zerlegen sie den Text in seine Anteile von Pointe und Erkenntnis.
Zwei zufällige Freunde, die eine prägende Phase ihres Lebens gemeinsam durchmachen, bis sie sich wieder trennen: „Der Weg des Soldaten“ eröffnete den Erzählungsband „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“, den Herrndorf 2007 herausgebracht hatte, drei Jahre vor seinem Meisterwerk „Tschick“, drei Jahre auch vor seiner Krebsdiagnose. Im August 2013 hat sich der unheilbare kranke Herrndorf das Leben genommen. Vor seinem Tod durfte er aber noch den Erfolg seines Romans „Tschick“ auch als Theaterstück erleben: Eine kurze Zeit war Herrndorf der meistgespielte Autor auf deutschen Bühnen (Platz 2: Shakespeare).
Sentimentalität und Kälte
Was den Roman „Tschick“ um zwei Teenager on the road so verführerisch und perfekt als Jugendstück für jedes Alter gemacht hatte, scheint auch im „Weg des Soldaten“ auf: Herrndorfs Sinn für Timing, seine fehlerfreie Prosa, in der Sentimentalität und Kälte elegant wechseln, und vor allem: Seine auf immer und ewig jugendliche Opposition gegen die verlogene Falschheit und moralische Korruption der erwachsenen Welt. Und wie in „Tschick“ ist der Erzähler auch hier ein genauer Beobachter seiner pädagogischen Anstalt. Ein junger Mensch, der irgendwie schon, aber dann doch lieber gar nicht dazugehören will zur Gesellschaft der anderen Menschen – und der zu Pointen und Erkenntnissen zerlegt, was er sieht.
Dass sich in der Frankfurter Adaption Bischoff und Klein Medina diese Stimme teilen, setzt den Herrndorfschen Sound klug um. Der immer beides zugleich ist: sentimental und illusionslos. Warm und kalt. Mitten drin und von ganz weit weg.
Los jetzt, empfinden!!!
Die Inszenierung legt den Akzent auf das Rätsel einer Freundschaft zwischen einem Spinner und seinem Chronisten – und auf den absurden Wunsch nach künstlerischer Erziehung: Einmal brüllt Alicia Bischoff, in die Rolle der Professorin geschlüpft, den Erzähler durch ein Megaphon an, was der abliefere, sei „absolute Scheiße“, er müsse mehr empfinden: „Empfinden!!!“, brüllt sie ins Gerät. Weil sich das Stück ja an ein jüngeres Publikum richtet, ist dieser Akzent auch verständlich. Im Kern handelt Herrndorfs Erzählung aber davon, was so ein „Künstler“ eigentlich ist. Was für ein Bild er abgibt, während er Bilder abgibt. Fragen, die Herrndorf selbst Zeit seines Lebens beschäftigt haben. Weil es dabei um Konformität, Posen und Eigensinn geht, sind sie natürlich auch interessant für Teenager. Wenn Bischoff und Klein Medina sich auf der Bühne wie Skulpturen in Posen werfen, gekleidet in Van-Gogh-T-Shirts, deutet sich dieses Thema auch an.
Die autobiografischen Elemente aber, die Selbstzermarterung Herrndorfs, der irgendwann kein Maler mehr, sondern nur noch Schriftsteller sein wollte und die Gründe dafür auch in dieser Erzählung andeutet, rücken dabei aber in den Hintergrund. Das ist konsequent im Sinne der Dramaturgie, aber auch etwas schade. Da fehlt was, aber egal: Das Publikum in der ausverkaufen Box des Frankfurter Schauspiels ist begeistert.