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Festival in Aix-en-Provence : Komm mit aufs große Fest des Verführers

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Louis Langrée und das Freiburger Barockorchester können sich auf diese Weise kaum dramaturgisch zwingend entfalten. Und die Sänger darf man für ihren exzessiven körperlichen Einsatz bewundern - und auch dafür, dass sie quasi nebenbei auch noch halbwegs akzeptabel singen: Bo Skovhus als Don Giovanni, einem Desperado aus einem Western ähnlicher als der tradierten Figur; Marlis Petersen mit klarem, festem Ton als Donna Anna; Kristine Opolais als Elvira. Am Ende trifft den wild herumhopsenden Verführer vor lauter Angst der Herzschlag, wenn plötzlich wieder der Commendatore als Kopie mit angeklebtem Bart auftritt: Da befindet man sich endgültig im Komödienstadl. Aix sollte vielleicht einmal auf den eigenen „Don Giovanni“-Anfang zurückgreifen: als perfektionierte Rekonstruktion. Die ständigen Verbürgerlichungen der Oper führen letztendlich nur zu Verkleinerungen der Figuren und - was schlimmer ist - auch der Musik.

Durch den Gesang der Nachtigall geheilt

Das Gleiche gilt in gewisser Weise für die zweite Produktion des Festivals, für Glucks „Alceste“, die der Regisseur Christof Loy ebenfalls im Stil eines Familienstücks präsentiert. Die inneren Formate des Opferzeremoniells wirken verkleinert, auch wenn Véronique Gens der zum Tode bereiten Alceste vokal wunderbaren Ausdruck verleiht. Wie verwandelt aber klingt bei diesem Gluck das Freiburger Barockorchester unter Ivor Boltons befeuernder Leitung: Es wird klangvoll, farbreich, beredt in der Gestik musiziert.

Das Aixer Festival wartet zwischen ernsten Auftritten immer gern mit Verzauberungen auf. Diesmal hieß der Zauber „Le Rossignol“, von Igor Strawinsky nach Andersens Märchen 1914 komponiert. Regisseur Robert Lepage gelang ein wahres theatralisches Wunderwerk, phantasievolle Bilder von zuckenden Drachen und einem malerischen Kahn im zu einem See umfunktionierten Orchestergraben, in den fast alle Solisten mit ihren Miniatur-Doubles hineinspringen müssen. Die Geschichte vom todkranken chinesischen Kaiser, der durch den Gesang der echten Nachtigall geheilt wird, gewinnt in der farbigen Chinoiserie eine wunderbar zarte Poesie und Leichtigkeit. Und so spielt auch das Orchester der Lyoner Oper unter Kazushi Ono. Ein hinreißendes Theaterfest.

Rückkehr in die argentinische Heimat

Zur Programmtradition des Festivals gehören auch regelmäßige Uraufführungen. Der Auftrag für diese Saison ging an den argentinischen Komponisten Oscar Strasnoy, dessen Oper „Le Bal“ kürzlich an der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführt wurde. Seine neue einstündige Kammeroper trägt den Titel „Un retour - El regreso“ und entstand auf den gleichnamigen Roman „El regreso“ des argentinischen Schriftstellers Alberto Manguel, der für den Komponisten auch das Libretto erstellte. In zwölf kurzen Szenen läuft die Geschichte eines Mannes ab, der nach dreißig Jahren wieder in seine Heimat (Argentinien) zurückkehrt. Manguel verarbeitet in seinem Roman persönliche Erfahrungen aus der Peron-Zeit. Kafkaesk-verrätselt wirken die Erlebnisse, Begegnungen und Gespräche des Heimkehrers mit Freunden, alten Bekannten, der einstigen Geliebten, die nach seiner Flucht verhaftet wurde und im Gefängnis starb. Die Atmosphäre des Unwirklichen, Unheimlichen, Bedrohlichen findet sich auch in Strasnoys Kammeroper. Die einstige Realität scheint nur mehr wie von fern durch die Poetisierung hindurch.

Strasnoys Partitur, einem Vokalensemble (Ensemble Musicatreize) und einem kleinen Instrumentalensemble anvertraut, entfaltet eine klanglich dichte, atmosphärisch starke, auch oft hart attackierende Musiksprache, deren lebendiger Gestus genau mit den szenischen Vorgängen korrespondiert. Auf der ungewöhnlichen Spielbühne des vor den Toren von Aix gelegenen Theaters Grand Saint-Jean hatte der Regisseur Thierry Thieu Niang das Werk mit innerer Anteilnahme sehr ernst und eindringlich in Szene gesetzt. Roland Hayrabadian wachte als Dirigent über den musikalischen Zusammenhalt. Strasnoys Kammeroper überzeugt durch das spürbare persönliche Engagement für Menschen, die ohne Schuld in die Mühlen einer skrupellosen Macht geraten. Das ist leider unverändert aktuell.

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