Bayreuther Festspiele : Amfortas, von Wannen kommst du
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Parsifal mit Dornenkrone
Wie in zahlreichen (handwerklich meist besser durchorganisierten) Stadttheater-Darbietungen der sechziger, siebziger, achtziger Jahre latschen jetzt auch in Bayreuth wieder Mönche in Phantasiekutten hin und her, schleppen Kreuzattrappen, wickeln Kultgegenstände aus oder ein, schlafen, beten, knien und vollziehen komische Rituale. Schließlich scharen sie sich um einen Altar, auf dem eine Art Riesensalatschüssel steht. Kurz durchfährt uns ein Schreck: Das soll doch nicht etwa der Gral... ? Kurz zuvor hatte Gralskönig Amfortas just in dieser Schüssel sein Heilbad genommen, angereichert mit allen Wohlgerüchen Arabiens, herbeigeschafft von der eifrigen Kundry, die jetzt in der Ecke liegt und schläft. Die Ritter wollen jetzt doch nicht etwa sein Badewasser... ? Nein? Erleichterung. Sie wollen nur sein Blut. Amfortas wird also entkleidet, es erweist sich, dass er, passend zur Dornenkrone auf dem Haupte, auch stigmatisiert ist, man sticht ihn an, er schreit Aua, man legt ihn ab. Und dann wird am Rande der Salatschüssel plötzlich ein veritabler Zapfhahn sichtbar und für die Mönche heißt es, anstehen zur Selbstbedienung. Zum vollen Gralsritterkitsch fehlen jetzt nur noch ein paar Helden in Strumpfhosen.
Jung-Parsifal, der Held, tritt erst in Jeans in Erscheinung als hübscher Jüngling, dann als Soldat, schließlich bis an die Zähne bewaffnet mit Nachtsichtgerät als Scharfschütze. Er fängt den heiligen Speer nicht im Fluge, sondern nimmt ihn Klingsor, der so dumm ist, sich das gefallen zu lassen, einfach aus der Hand. Dann, wohl weil er sich erinnert, das schon mal in einem anderen Wagnerstück erlebt zu haben, zerbricht Parsifal den Grals-Speer überm Knie, in zwei Hälften. Und so weiter. Eine hilflose Albernheit jagt die nächste. Selbst der Schluss, bei dem das Publikum in den Erlösungsprozess durch Lichtanknipsen im Saal mit einbezogen werden soll, wirkt aufgesetzt, wie billigste Konvention: Es ist des Fremdschämens kein Ende.
Musikalischer Anschluss an den Rest der Wagnerwelt
Zum Glück ist Richard Wagners „Parsifal“ kein Theaterstück, es gibt auch noch Musik. So kläglich die Szene, so grandios und bewundernswert die Leistungen von Sängern, Musikern und Dirigent. Hartmut Haenchen, der die musikalische Leitung erst im Endproben-Prozess von dem bayreuthflüchtigen Andris Nelsons übernommen hatte, bringt zum Verbeugen das ganze Orchester mit auf die Bühne, in Arbeitskleidung. Das ist nicht nur ein Zeichen der Bescheidenheit, es ist auch eine Geste des Dankes. Man hat hart gearbeitet in den letzten Tagen. Haenchen, der sich für seine „Parsifal“-Dirigate in Paris und Brüssel aus den Uraufführungsprotokollen, der kritischen Gesamtausgabe und anderen Quellen sein eigenes „Parsifal“-Notenmaterial erarbeitet hatte, das falsche Noten ausmerzt und eingeschliffene Artikulationsmoden korrigiert, brachte dieses mit. Die Musiker mussten in aller Kürze der Zeit versuchen, den Änderungen (allein fünfundsiebzig Korrekturen im ersten Aufzug) gerecht zu werden.
Das Ergebnis ist, wenn man einige unvermeidliche Wackler, abzieht, phantastisch gelungen. Die Sänger werden vom Orchester auf Händen getragen: wortklar, dramatisch zugespitzt die Diktion, durchsichtig der Orchestersatz, klangsinnlich weich konturiert, mit fließenden Übergängen, zügigen Tempi, leuchtenden Aufgipfelungen. Und die Sänger? Zwei traumhafte Idealbesetzungen waren zu erleben: Klaus Florian Vogt als Parsifal, der die klare, weiße Farbe der Unschuld genau so überzeugend aufträgt wie das volle Gold des charismatischen Helden. Und Georg Zeppenfeld als lebendiger, authentischer Gurnemanz, mit fesselnder Präsenz, großrahmigem Organ. Ein großes Glück, dass alle anderen, bis in die Nebenrollen, dahinter nur wenig zurückstanden – von Elena Pankratova (Kundry) über Gert Grochowski (Klingsor) bis hin zu den herrlich ineinandergreifenden Blumenmädchensopranen. Es zeigt, dass die Bayreuther Festspiele zumindest musikalisch wieder den Anschluss gefunden haben an den Rest der Wagnerwelt.