Argerich-Festival Hamburg : Entfesselter Enthusiasmus
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Daniel Barenboim und Martha Argerich in der Laeiszhalle Bild: Daniel Dittus
Pure Freude am Musizieren: Martha Argerich, Daniel Barenboim und Anne-Sophie Mutter bringen beim Festival der Hamburger Symphoniker das Publikum zum Jubeln.
Jeder Tag, an dem er nicht Musik machen könne, hat Daniel Barenboim gesagt, sei für ihn „ein verlorener Tag“. Ein ähnlicher Enthusiasmus glüht in einer Jugendfreundin, der er vor 73 Jahren in Buenos Aires erstmals begegnete: Martha Argerich. Als die argentinische Pianistin im Jahr 2018 in der Hamburger Laeiszhalle ihren „Progetto Martha Argerich“, initiiert 2002 in Lugano und dort nach fünfzehn Jahren gedankenlos abgewickelt, fortsetzen konnte, ließ sich Barenboim morgens von Berlin nach Hamburg chauffieren, um mit ihr Musik von Robert Schumann und Claude Debussy zu spielen. Dieses Revival ist eine kulturelle Großtat von Daniel Kühnel, dem Intendanten der Hamburger Symphoniker und der Laeiszhalle, die von vielen Musikern als der beste Konzertsaal Hamburgs favorisiert wird.
Zur Eröffnung des dritten Festivals – das des vorigen Jahres hatte ausfallen müssen – war zum Auftakt ein amuse d’oreille angekündigt: Cecilia Bartoli. Begleitet von Martha Argerich wie von Daniel Barenboim, unter dessen Leitung sie ihre erste Opernaufnahme gemacht hatte, sollte sie jene zauberischen Lieder darbieten, die Gioachino Rossini als „Alterssünden bezeichnet hatte – „Péchés de vieillesse“. Doch die Mezzosopranistin sprach mit der Stimme eines „basso profondo“, als sie Daniel Kühnel mitteilen musste, dass sie nicht würde kommen können. Also mussten die Vielerfahrenen die Kernstücke des Programms – Mozarts Sonate für zwei Klaviere D-Dur KV 448 und Georges Bizets „Jeux d’enfants“ – um zwei kleine Werke ergänzen: Claude Debussys „Préludes à l’après midi d’un faune“ in der Fassung für zwei Klaviere und Mozarts Andante für Klavier zu vier Händen KV501. Dass die beiden im Allegro con spirito der Sonate zunächst leichte Koordinations-Probleme hatten, deutet darauf hin, dass es nicht viel Probenzeit für das Wechselspiel der sprudelnden Passagen gegeben hatte; und dass sie lange in einem Band mit Mozart-Sonaten blättern mussten, um das Andante mit fünf Variationen in G-Dur zu finden, lässt fast vermuten, dass sie vom Blatt spielten – das gehört zum Handwerk großer Könner.
Alterssünden? Nein, durchaus nicht, weil sie dem enthusiastischen Publikum mehr als routinierte Perfektion boten, nämlich die ursprüngliche Freude am gemeinsamen Musizieren zu vermitteln verstanden. Dass aber „La Martha“ und „Danny“ immer noch die Pranke von Virtuosen hohen Ranges besitzen, war in den „Jeux d’enfants“ von Georges Bizet zu bestaunen. Der Komponist der „Carmen“ war, wie kaum bekannt, ein selbst von Franz Liszt bewunderter Virtuose. In dem Marsch „Trompette et Tambour“ verwandelten sich beider Hände in „Trompete und Trommel“ – welch wunderbares jeu d’esprit!
Und dass Martha Argerich nach wie vor über die ihr oft zugesprochene „geschmeidigste Klavierhand“ gebietet, bewies sie am zweiten Abend im Klavierkonzert B-Dur op. 19 von Ludwig van Beethoven. Im Ausklingen des Adagios setzte sie, mit Furor in den Finalsatz stürmend, das Tempo: nicht Molto allegro, sondern Presto, sodass auch die Hamburger Symphoniker zeigen konnten, dass sie unter ihrem Chefdirigenten Sylvain Cambreling einen bemerkenswerten Aufschwung genommen haben.
Martha Argerich hat ihren „Progetto“ nicht als Festivität zur Aufwertung eines touristisch attraktiven Standortes konzipiert, sondern als musikalische Werkstatt für eine programmatisch abwechslungsreiche Konzert-Reihe ohne die Rituale und Zwänge des durchgetakteten Betriebs. In den fünfzehn Konzerten zwischen dem 19. und 30. Juni steht sie vierzehnmal auf dem Podium der nicht von „Kultouristen“ heimgesuchten Laeiszhalle. Dabei folgt sie der Maxime: „Ich liebe es, Klavier zu spielen, aber ich mag es nicht so gern, Pianistin zu sein.“ In den meisten Konzerten, alle ohne Pause durchgeführt, ist sie Partnerin von rund sechzig Kollegen: zum einen von lebenslangen Weggefährten wie Daniel Barenboim, Maria João Pires, Lilya Zilberstein, Gidon Kremer, Mischa Maisky oder Renaud Capuçon, zum anderen von herausragenden jungen Musikern, denen der überfällige Dank des Ruhms noch nicht zuteil geworden ist.
Alle bekommen die gleiche Gage
Diese Vielzahl der Musiker ist auch ein Garant für die Vielfalt der Programme, die nicht aus dem Katalog des Verkaufstüchtigen stammen. Und dass man sich als Gleiche(r) unter Gleichen versteht, zeigt sich daran, dass alle Musiker dasselbe Honorar enthalten. Intendant Kühnel: „Es gibt wohl kein anderes Festival dieser Größenordnung, bei dem alle Mitwirkenden im Grunde die gleiche – und zudem extrem moderate – Gage bekommen. In unseren Augen macht das einen wesentlichen Unterschied: Alle diese großartigen Musikerinnen und Musiker sind hier, um miteinander und für das Publikum zu spielen. Nichts anderes steht im Vordergrund.“
Waren es die Ausstrahlung von Martha Argerich und die Aura ihres Festivals oder die Überzeugungskraft von Daniel Kühnel, die Anne-Sophie Mutter dazu bewog, sich in den Freundeskreis einzureihen? Zuvor hatte sie noch nie mit der Pianistin musiziert. „Mal sehen, wie das wird“, hatte Martha Argerich gesagt. Dem Vorspiel mit Beethovens Sieben Variationen über „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ – mit dem Cellisten Mischa Maisky – folgte die Sonate für Violine und Klavier von César Franck: Und es wurde! Schon nach der Schlusssteigerung des finalen Allegretto feierte das Publikum die beiden Grandes Dames mit stehenden Ovationen.
Zum Triumph des Abends wurde die Aufführung von Mendelssohns Klavier-Trio d-Moll. Unvergesslich, wie die einmal mehr von einem Geschwindigkeitsrausch erfasste Martha Argerich in der Elfenmusik des Scherzos ihre beiden Partner zu den tollsten Saitensprüngen herausforderte. Begeisterter und bewundernder Jubel – wann war das Hamburger Publikum je so enthusiastisch zu erleben?