Festival MaerzMusik : Avantgarde weißer Machtkartelle
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Die afro-schwedische Sängerin Sofia Jenberg Bild: Adam Janisch
Berlins Festival MaerzMusik bemüht sich redlich um den schwarzen Klang. Aber hört es Afrika wirklich? Oder bestätigt es nur wieder die Überlegenheit des Westens?
Jede Tagesschau-Sprecherin weiß, dass sie einem neutralen Text mit leichtem Zucken im Mundwinkel den nötigen Spin verleihen kann, und jeder Showmaster der Samstagabendunterhaltung ist sich bewusst: Wenn sein Strahlemanngesicht nur eine Sekunde lang in sich zusammenfällt, ist der Abend im Eimer. Die Naheinstellung der Kamera legt die Wahrheit bloß. Solche Regeln gelten eigentlich auch für ein Festival wie die Berliner MaerzMusik, das gegenwärtig wegen der Pandemie nur online stattfindet (noch bis Samstag). Wenn aber bei der Eröffnung der Festivaloberdirektor Thomas Oberender von den Berliner Festspielen mit der Miene des gestressten Kulturmanagers vor die Kamera tritt und anschließend der Festivalunterdirektor Berno Odo Polzer mit demselben knochentrockenen Ernst eine Viertelstunde lang die einzelnen Programmpunkte aufzählt, dann spürt der Fernsehzuschauer sofort: Jetzt wird’s unersprießlich.
Und tatsächlich folgte ein mehr als einstündiger Textmarathon am Bildschirm. Die Mitglieder des bolivianischen Orquesta Experimental de Instrumentos Nativos, die vor einem Jahr fast drei Monate lang in Rheinsberg in Quarantäne verharren mussten, wurden aufgefordert, in endlosen Sequenzen zu erklären, was sie unter dem Begriff Environment verstehen. Das ging vom Hier und Jetzt über das Leben als solches bis, man ahnt es, zum gefährdeten Planeten.
So viele Köpfe, so viele Privatmeinungen. Es waren sympathische junge Menschen, die in dieser Schulstunde ihre Kompetenz im deutschen Lieblingsfach Umwelt nachweisen mussten. Auffallend war, dass sie lebenszugewandter und weniger verkopft argumentierten als die ebenfalls befragten Mitglieder des Berliner Ensembles Phønix16. Die Fortsetzung bestand aus einem Konzert mit indianischen Originalinstrumenten in einem weitgehend abgedunkelten Raum, ein weiteres wurde auf einem altertümlichen Schwarzweißfernseher innerhalb des Bildschirms gezeigt. Altavantgardistische Verweigerungshaltung, medienkritisches Statement? Fernsehen ist in erster Linie Entertainment, und das sollte auch ein Musikfestival nicht ganz vergessen, wenn es an einer breiteren Öffentlichkeit interessiert ist.
Dabei hätte das Programm mit dem Blick auf südamerikanische und schwarzafrikanische Musikkulturen eine größere Öffentlichkeit verdient. Der zweite Tag stand ganz im Zeichen einer interessanten Entdeckung. Es ging um den 2017 hochbetagt im amerikanischen Exil verstorbenen Ägypter Halim El-Dabh. In seiner Musik gehen Faszination am Klang und Kommunikationsfreude, technisches Experiment und Spiritualität eine einzigartige Verbindung ein. Schon 1944 hantierte er in Kairo mit elektroakustischen Geräten, was ihn noch vor den entsprechenden Aktivitäten im Pariser Rundfunk als Pionier der Musique concrète ausweist. In Berlin gab nun das Zafraan Ensemble einen Einblick in sein Werk, das sich mit seiner spekulativen Unbekümmertheit weit vom westeuropäisch geprägten Avantgardekanon entfernt. Ein innereuropäischer Vergleich bietet sich allenfalls mit Komponisten wie Iannis Xenakis oder Maurice Ohana an, die seinerzeit vom Avantgardekartell mit Zentrum Darmstadt ebenfalls als unbedeutend abserviert wurden.