Jelineks neues Stück in Berlin : Beim Wort genommen
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Susanne Wolff, Fritzi Haberlandt und Linn Reusse (von links nach rechts) in „Angabe der Person“ Bild: dpa
Wie wird aus vermeintlicher Steuerhinterziehung ein fesselnder Theaterabend? Die Uraufführung von Elfriede Jelineks „Angabe der Person“ durch Jossi Wieler am Deutschen Theater Berlin ist eine Sensation.
Nicht weit weg vom Deutschen Theater Berlin lässt der Bund der Steuerzahler eine Schuldenuhr laufen. Rote Leuchtdioden zeigen an, wie hoch der Staat gerade verschuldet ist – und wie schnell die Summe steigt. Im ersten Halbjahr 2022 waren es 2,34 Billionen Euro. Ein bisschen was wird bis Ende 2022 durch Ukrainekrieg, Inflation und Energiekrise gewiss dazukommen.
Eine ähnliche Uhr steht nun auf der Bühne im Deutschen Theater, unter einem schrägen Steg, den eine nackte Wand abgrenzt, in die eine Tür- und eine Fensteröffnung eingeschnitten sind. Im Stauraum unter dieser karg angedeuteten Wohnung befindet sich neben einem aufgerollten Teppich und Umzugskartons die Uhr mit ihren roten Ziffern (Bühne und Kostüme: Anja Rabes). Um Steuergelder geht es nämlich auch in Elfriede Jelineks neuem Stück „Angabe der Person“, dessen Uraufführung jetzt Jossi Wieler inszenierte.
Wieler ist ein erprobter Regisseur im Umgang mit ihren komplex verschachtelten, assoziationsreichen Textflächen, die sie ohne Figurenzuordnung oder Regieanweisung schreibt. Ausgangspunkt für „Angabe der Person“ war ein steuerliches Ermittlungsverfahren, das längst eingestellt ist, weil bei Elfriede Jelinek nichts Belastendes gefunden wurde, weder Belege für Steuerhinterziehung noch für Schwarzgeld. Jedoch prägt die Demütigung, dass ihr gesamtes Schriftgut inklusive privater E-Mails beschlagnahmt wurde („Ist das hier Ihr Wort, oder kann das weg?“), dieses Stück.
Mit Herz, Hirn und Fingerspitzengefühl
Überdies spürt sie darin den sichtbaren wie unsichtbaren Wegen des Geldes auf dem globalen Markt nach: Von Enteignungen im Dritten Reich und den Folgen bis in die Gegenwart, etwa im Fall der Naziverbrecher Arthur Seyß-Inquart und Baldur von Schirach, oder bei Cum-Ex-Geschäften und dem Wirecard-Skandal. Darüber hinaus denkt sie über die jüdische Herkunft ihres Vaters und über Verwandte nach, die von den Nationalsozialisten vertrieben oder umgebracht wurden.
Außer der Steueruhr hält sich Jossi Wieler in seiner schnörkellos klaren Inszenierung von allen konkreten Anspielungen fern – die liefert ausschließlich Jelinek in entschiedener Dichte und mit großer Raffinesse. Sie überwältigt das Publikum mit ihrer grenzüberschreitenden Sprache, er konzentriert sich ohne jedes Regietheaterbrimborium darauf.
Ein Pianola schaltet sich mitunter kurz in die Szenen ein, erinnert im Musikkonzept des Postgenre-Komponisten PC Nackt sehr frei an Bach und Schubert, was auch der Text immer wieder tut, samt Bibelzitaten und „Spurenelementen von Heidegger, Camus, Nietzsche, Freud …“.)
Ansonsten hat Wieler mit Herz, Hirn und Fingerspitzengefühl die ganze Theaterwelt für die Schauspielerinnen Fritzi Haberlandt, Linn Reusse und Susanne Wolff freigeräumt, die Elfriede Jelineks Worte in einer Weise sprechen, wie man es nie zuvor gehört hat.
Die drei entpuppen sich als hinreißende Alleinunterhalterinnen im Interesse der Autorin und zeigen, wie klug und gut deren Text konstruiert ist, wie witzig und schräg, theatral und spielbar. Timing, Rhythmus, Kalauer, Pointen, das Lächeln, das Wüten, der Ingrimm, Fermaten und wirkungsvoll eingeschobene Pausen – alles stimmt wie in einer Partitur, die ein begnadeter Dirigent zum Leben erweckt.
Im Saal wird viel gelacht während der zweieinhalb Stunden – ausgerechnet bei der „Totendompteuse“ Elfriede Jelinek! Die Darstellerinnen sind alle fast gleich angezogen, schwarze Hosen, weiße Oberteile, gemusterte Pullunder, blonde Perücken.
In drei intensiven, direkt an die Zuschauer gerichteten Monologen legen sie verblüffend leichthändig und lässig überzeugend deren erzählerische Qualität frei: Linn Reusse ist die jugendlich alerte, liebreizend-transparente Geradlinige, Fritzi Haberlandt die kindlich verspielte, gekonnt übertriebene Klamaukgroteske, Susanne Wolff die sarkastisch grundierte, schwarzhumorig abgebrühte Suggestivdiva. Am Schluss treten sie zusammen auf, reizen die dialogische Grunddisposition von „Angabe der Person“ aus, rauchen entspannt, setzen Puppen – Vater, Mutter, Tochter – an die Rampe.
Inzwischen kommt der Text vom Tonband, er hat sich von den Figuren abgelöst, die verloren in der Leere der Bühne, in den Katarakten des Stücks verschwinden. Übrig bleibt Bernd Moss, von Anfang an ein beobachtender Computernerd an seinem Schreibtisch, der die Frauen, die sich bisweilen vertraut an ihn schmiegen, „Elfi“ nennt. Er hat die Rolle von Elfriede Jelineks langjährigem Ehemann, des Komponisten und Informatikers Gottfried Hüngsberg, der im September plötzlich verstorben ist.
Dieses treue Geschöpf zeichnet die Gespräche auf, mischt sie ab, wirft manchmal ein paar Sätze ein und hat verschmitzt die letzten Worte: „Da kann man nichts machen.“ Er zuckt mit den Schultern, blickt in den Saal – und damit endet Jossi Wielers sensationelle Inszenierung, die Sprache, Spielkunst und den Echoraum der Zeitgeschichte zu einer so intelligenten wie sinnlichen Aufführung verbindet.