Drohende Fusion der SWR-Orchester : Die Wende? Oder doch nur eine Volte?
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Es droht die Fusion mit den Stuttgarter Kollegen: Das SWR-Orchester Baden-Baden und Freiburg, hier mit Pierre Boulez im Rosbaud-Studio. Bild: SWR/Peter A. Schmidt
Heute Vormittag diskutiert der Landtag von Baden-Württemberg wieder über die geplante Fusion der Rundfunkorchester des Südwestrundfunks. Diese Orchesterabschaffungsdebatte im Süden geht uns alle an.
Einunddreißigtausendeinhundertvierundneunzig Unterschriften überreichte der Förderverein des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg Ende März dem Intendanten sowie dem Rundfunkratsvorsitzenden des Südwestrundfunks. In Ziffern: 31194. So viele Bürger allein aus dem Landesteil Baden protestieren gegen die geplante Fusion der beiden rundfunkeigenen Orchester in Stuttgart und Baden. Aber das war nicht alles. Die Politik des Landes hatte sich eingeschaltet. Ein Initiativkreis mit mehr als vierzig Abgeordneten des baden-württembergischen Landtags forderte eine nochmalige Überprüfung des Fusionsbeschlusses. Die Voraussetzungen hätten sich geändert, hieß es zur Begründung. Kurz darauf meldete sich auch der Wissenschafts- und Kunstausschuss des Landesparlaments und verlangte eine neue Prüfung der Situation.
Der Staatssekretär des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, Jürgen Walter, äußerte sich in einem Schreiben an den Deutschen Musikrat, der Kretschmann soeben den „Musik-Gordi“ – eine Art saure Zitrone – verliehen hatte: Der so Geehrte halte die Fusion inzwischen für „falsch“. Der Generalsekretär des Musikrates, Christian Höppner, frohlockte, Kretschmann habe erstmals Gesprächsbereitschaft bekundet. Und alle Zeitungen meldeten: Die „Wende in der Fusionsdebatte“ sei da.
Zugang zu zeitgenössischer Musik
Allerdings ist Kretschmann dann sehr rasch zurückgerudert. Dass längst mehrere hundert Komponisten und Dirigenten aus aller Welt gegen die Auflösung speziell des SWR-Orchesters Baden-Baden und Freiburg in zwei großen Zeitungen Protest erhoben hatten, beeindruckte ihn nicht im Geringsten. Die zunehmende Geschwindigkeit, mit der sich Proteststimmen und Abwehrrituale im Fusionsstreit über die beiden symphonischen Orchester des Südwestrundfunks jagen, verwirrt offensichtlich nicht nur die Öffentlichkeit, sondern, was umso bedauerlicher ist, auch die politischen Mandatsträger.
Dass der Streit um den Erhalt von zwei Orchestern einer Rundfunkanstalt geht, liegt daran, dass seinerzeit 1998 der Süddeutsche Rundfunk (SDR) und der Südwestfunk (SWF) Baden-Baden im Wege der Länderzusammenlegung zu einer Anstalt verschmolzen worden waren. Eine Anstalt – zwei Orchester. Ja, geht das denn? Darf es so etwas geben? Wir wollen hier nicht noch einmal all die vielen seit zwei Jahren ausgetauschten Argumente wiederholen. Nur eines, ein essentielles, kann gar nicht oft und laut genug gesagt werden.
Dabei geht es um die Frage nach der künstlerischen und ästhetischen Identität eines Orchesters. Sie ist bei beiden Klangkörpern herausragend, historisch gewachsen und tausendfach in ausverkauften Konzerten beglaubigt. Das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg hat sich seit seiner Gründung 1946 in einem Maße als Spezialorchester für zeitgenössische Musik profiliert, das man sogar als weltweit einmalig bezeichnen darf. Berühmte Dirigenten formten dieses Ensemble: Hans Rosbaud und Ernest Bour zunächst, für jeweils zehn Jahre, dann Michael Gielen, Sylvain Cambreling und jetzt François-Xavier Roth. Wie an diesen Namen abzulesen, hat sich das Orchester in seiner jeweiligen Besetzung konsequent für Dirigenten entschieden, die bekannt sind für ihren hochkompetenten Zugang zur Musik unserer Zeit.
Ein Stück Musikgeschichte steht auf dem Spiel
Wer, wie der SWR-Rundfunkrat, meint, man könne solche musikalischen Qualitäten bei einer Fusion erhalten oder neu sortieren oder einfach in eine andere orchestrale Umgebung verpflanzen, der hat günstigenfalls keine Ahnung vom Wesen eines qualifizierten Orchesters. Er besitzt jedoch ein gerüttelt Maß an Ignoranz. Irgendwie arbeitet sich zwar jedes professionelle Orchester irgendwie durch eine neue Partitur, die erst einmal studiert werden muss; die Ergebnisse entsprechen aber häufig kaum auch nur annähernd den Vorstellungen der Komponisten. Das SWR-Orchester Baden-Baden und Freiburg ist seit sieben Jahrzehnten ein Garant dafür, dass dies nicht so sein muss. Das hat etwas mit der Haltung eines jeden Musikers zu tun.