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Diskurstheater im Rheinland : Man untersucht, man zankt, man klagt

Das steht doch im Stück! Bruno Cathomas ist Stefan Bachmanns belesener Nathan in Köln. Bild: Tommy Hetzel/Schauspiel Köl

Soll das unser Diskurs sein? Die Theater in Düsseldorf, Köln und Bonn eröffnen die Spielzeit mit Tennessee Williams, Gotthold Ephraim Lessing und Maja Göpel.

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          Theater, sagt ihr Cheflobbyist, Carsten Brosda, Präsident des Deutschen Bühnenvereins und Hamburger Kultursenator, „sind Kristallisationspunkte für unsere gesellschaftlichen Diskurse“, weniger „Zerstreuungs- und Erbauungsorte“ als „Orte des Erkenntnisgewinns“ und der „wertebildenden Orientierung“. Die Zweckzuweisung dient der Polemik gegen die Gleichbehandlung von Kulturveranstaltungen und anderen Ereignissen mit Publikumsverkehr in der Pandemie. Brosda steht bereit, sich von Bundeskanzler Olaf Scholz zum Cheflobbyisten der gesamten subventionierten Kultur befördern zu lassen. In einem Artikel für Die Zeit, der auch von Scholz unterzeichnet ist, hat er jetzt schon einmal das Ende der Abstandsgebote ausgerufen: „Wir brauchen den Schulterschluss zwischen Politik und Kultur, zwischen Macht und Geist.“

          Patrick Bahners
          Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.

          Die Theater dürfen wieder vor mehr oder weniger vollen Sälen spielen. Am Wochenende eröffneten die Sprechtheater von Düsseldorf, Köln und Bonn die Spielzeit. Was wird einem geboten, wenn man mit der Erwartung ins Theater geht, dort kristallisierten sich unsere Diskurse?

          Ist das ein Beitrag zur Diskussion über Rassismus?

          Das Düsseldorfer Schauspielhaus wurde während der unfreiwillig spielfreien Zeit von einem Rassismusskandal erschüttert. Ein Schauspieler, der sich wie der Sklave behandelt sah, der ihm zuliebe dem Text von „Dantons Tod“ hinzugefügt worden war, verließ das Ensemble. Aus „Orpheus steigt herab“, einem nicht oft gespielten Stück von Tennessee Williams, das der viel beschäftigte David Bösch inszeniert, hat man vorsorglich die einzige schwarze Figur gestrichen, die stumme Rolle eines Hausierers mit Wunderzeichenware, der am Anfang und am Ende auftaucht.

          Nur noch in der Vorgeschichte der tragischen Handlung kommen Schwarze vor, als Empfänger von Wohltätigkeit: Der Vater von Lady, die den Gemischtwarenladen ihres todkranken Mannes um eine Süßigkeitenabteilung erweitern möchte, wurde von einem Mob ermordet, weil der aus Italien eingewanderte Gastwirt auch Schwarzen Alkohol ausschenkte. Nach Ansicht der bösen Damen der guten Gesellschaft hat der „Itaker“ bekommen, was er verdiente. Mit überdeutlicher Lust am Hässlichen wird das Schimpfwort ausgesprochen, weil es die Sprecherin entlarvt. Leistet das Schauspielhaus damit nun einen Beitrag zum Diskurs über Rassismus? Kann das I-Wort, in der Hoffnung auf die Toleranz oder Gleichgültigkeit der italienischen Community in Düsseldorf, als Chiffre für das tabuisierte N-Wort funktionieren?

          Unklar, auf wessen Kosten die Ironie geht

          Umständlich erläutert das Programmheft, „die Aktualität“ könne man dem Stück „insofern nicht absprechen, als Williams das Bild einer Gesellschaft zeichnet, deren Mitglieder sich zum Teil außerhalb demokratischer Kontrolle und in populistisch-rassistischen Netzwerken bewegen“. Zum Teil! Williams setzte die Unreformierbarkeit der Südstaaten voraus, benutzte sie als Kulisse der Heillosigkeit. Die ganze Welt ist hier die Unterwelt, aus der Val, der Wiedergänger des Orpheus mit Gitarre und Schlangenlederjacke, nicht mehr lebend herausfindet. Der durch den Fall George Floyd bestimmten moralischen Reizbarkeit unseres historischen Augenblicks trägt Bösch Rechnung, indem der demokratisch unkontrollierte Sheriff seine Schießwut zum karikaturistischen Exzess treibt. Im Übrigen bietet die Inszenierung den Fatalismus aus dem Sortiment, den man von der Traditionsmarke Tennessee Williams erwartet, Bittersüßigkeiten zweiter Wahl. Dabei wäre, wenn Zerstreuung und Erbauung nicht einen so schlechten Ruf hätten, eine Gesellschaft, in der mit guten Worten nichts erreicht werden kann, wirklich einmal ein interessantes Sujet.

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