Musikfestspiele Potsdam : Da reimt sich „pasta“ auf „basta“
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Ruspolina (Laria Ladurner, links) und Cetronella (Benedatta Mazzucato, rechts) schulen Celidoro (Rupert Charlesworth, Mitte) darin, sich in der Liebe zu zügeln. Bild: Stefan Gloede
Über 250 Jahre lang wurde die Oper „Die wundersamen Wirkungen von Mutter Natur“ nicht mehr gespielt. Im Neuen Palais in Potsdam gelangte dieses Lieblingsstück des preußischen Königs Friedrich II. nun zur Wiederaufführung: ein staunenswert kluger Ulk.
Die eigentliche Sensation des Gedenkjahres 2012 zum dreihundertsten Geburtstag von Friedrich II. von Preußen war das Buch „Friedrich der Große. Musiker und Monarch“ von Sabine Henze-Döhring. Es hatte tatsächlich etwas Neues von Preußens König zu berichten – und zwar mit der Pointe, dass Forschung einmal keine Legenden zerstörte, sondern bestätigte: Der Ruhm des Monarchen als Musiker strahlte noch heller.
Der Flötenkönig von Sanssouci und Feldherr der Schlesischen Kriege war tatsächlich ein musikalischer Vollprofi mit brillanter Expertise vor allem im Opernmanagement. Er kannte den europäischen Sängermarkt und wusste über die Formenwelt des Komponierens bestens Bescheid. Der Paukenschlag: Friedrich der Große war nicht nur ein Anhänger der ernsten Oper, der Opera seria, die höfischer Repräsentation diente, er förderte mit großem Vergnügen und enormer Kenntnis auch die komische Oper, die Opera buffa. Im Potsdamer Stadtschloss ließ er einen Komödiensaal einrichten, wo komische Opern en suite, also im regulären Spielbetrieb, nicht nur zu königlichen Festen, gespielt wurden – als Mittel unterhaltsamer Volksaufklärung. Eines seiner Lieblingsstücke hieß „I portentosi effetti della madre natura“, zu Deutsch: „Die wundersamen Wirkungen von Mutter Natur“, komponiert von Giuseppe Scarlatti nach einem ebenso klugen wie lustigen Libretto von Carlo Goldoni, in Venedig 1752 uraufgeführt. Preußens großer Friedrich eröffnete damit am 16. Dezember 1763 die erste Karnevalssaison nach dem Siebenjährigen Krieg in Berlin, später ließ er das Stück auch im Potsdamer Stadtschloss und 1768 zudem im Schlosstheater des gerade fertiggestellten Neuen Palais spielen.
Das Stück handelt davon, dass sich der gefangen gehaltene rechtmäßige König von Mallorca, der gar nicht weiß, dass er König ist, dank eines Blitzschlags aus dem Gefängnis befreien konnte und nun als junger Mann erstmals unter menschliche Gesellschaft gerät. Die Wirkung der Natur – nämlich die starke Anziehung, die Frauen auf ihn ausüben – erfährt er sehr schnell an sich selbst. Nur muss er sie mit der Kultur der Menschen – Ehe als Monogamie, Familie, Staat, Herrschaft – irgendwie in Einklang bringen. Als er dann noch zum Subjekt eines politischen Umsturzes wird und den illegitimen Herrscher Ruggiero entmachtet, muss er auch lernen, was Herrschen, Strafen und Begnadigen heißt. Zum Amüsement der Zuschauer verfängt sich dieser Kulturneuling Celidoro in den Fallstricken der aufklärerischen Vorstellung davon, was es heißt „gemäß der Natur“ zu leben. Dass er am Ende eine Schäferin heiratet, ist ein Signal gegen altes Klassendenken. „Wir sind doch alle aus einem Teig. Also Schluss jetzt!“, sagt er, dabei reimt Goldoni „pasta“ (Teig) auf „basta“.
Die kreatürlichen Wirkungen der Liebe beim Mann
Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, die seit 2019 von Dorothee Oberlinger geleitet werden, haben das vergessene Prachtstück jetzt nach 254 Jahren zur Wiederaufführung gebracht – im Schlosstheater des Neuen Palais, in einer von Francesco Russo erstellten kritischen Ausgabe. Der Regisseur Emmanuel Mouret holt die Geschichte vom mittelalterlichen Mallorca in die Bürowelt einer Diktatur der späten Achtzigerjahre; die Figurenregie ist sinnfällig und präzise – etwa wenn die Putzkräfte Cetronella und Ruspolina dem armen Celidoro die kulturellen Zähmungstechniken des Liebens erklären, dabei aber dessen kreatürliche Wirkungen bei ihm gezielt stimulieren.
Was Benedetta Mazzucato, Maria Ladurner und Rupert Charlesworth aus dieser Situation machen, ist ebenso komisch wie taktvoll, weil es die Phantasie des Zuschauers mehr anspornt als ersetzt. Und auch das Abwärtsglissando in der Kadenz, mit dem Niccolò Porcedda als Poponcino verdeutlicht, dass ihm im Alter die Kraft zur Liebe abhandengekommen sei (nur das Können freilich, nicht das Wollen), setzt auf die Symbolintelligenz der Hörer.
Das „Ensemble 1700“, das unter Oberlingers Leitung aufspielt, ist besonders im Continuo mit Harfe, Laute und Hammerflügel delikat besetzt. Die traurige Serenade des Solocellos zur Harfenbegleitung vor der Arie der Dorina (Dana Marbach) ist eine schwarze Perle der Partitur. Giuseppe Scarlatti, von dem niemand genau sagen kann, in welchem Verhältnis er zu Alessandro und Domenico Scarlatti stand, schrieb in jenem galanten Stil, den Friedrich II. so liebte, wobei die Vielfalt der Arienformen erstaunlich und sozial präzise ist. Roberta Mameli als Gattin des Diktators Ruggiero (Filippo Mineccia) darf eine Da-capo-Arie wie aus der ernsten Oper singen; Cetronella bekommt ein Strophenlied im Genre der Dialog-Ballade, wenn sie beschreibt, wie ihre Mutter sie verheiraten will. Benedetta Mazzucato singt das mit gekonntem Ulk in den Registerwechseln, die das Orchester farblich sehr schön unterstützt.
Die ganze Wiederaufführung zeigt, wie überraschend und intelligent die Musikfestspiele auch in der Leitung von Dorothee Oberlinger den Weg fortsetzen, den die Vorgängerin Andrea Palent achtundzwanzig Jahre lang vorbildhaft gewiesen hatte: Kunst aus der Geschichte und Motivwelt der Preußischen Schlösser und Gärten zu entwickeln. Dass man sich nun dazu entschlossen hat, auch die Stadt Potsdam stärker mit einzubeziehen, ist nur zu begrüßen. Wenn Ann Hallenberg auf dem Alten Markt unter freiem Himmel dem Bassetthornschlund ihres Mezzosoprans die leuchtende Elegie der Arie „Verdi prati“ (über die Vergänglichkeit der Schöpfung) aus Händels Oper „Alcina“ entsteigen lässt, während das Ensemble „Il pomo d’oro“ und Francesco Corti am Cembalo sie mit liebevollster Wärme umgeben und darüber das letzte Licht des Sommerabends verdämmert, dann ist das fast zu schön, als dass man es ertragen kann.