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Irène Schweizer wird achtzig : Ein harter musikalischer Kern

  • -Aktualisiert am

Wer von Musik Intensität, Konzentration, Verdichtung und Prägnanz erwartet, ist bei ihr richtig: Irène Schweizer Bild: Picture-Alliance

Aus dem Geist der Anarchie fand sie zu großem Formenreichtum und wurde eine der originellsten Jazzpianistinnen der Gegenwart. Heute feiert Irène Schweizer ihren achtzigsten Geburtstag.

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          Glamour, Eleganz, Opulenz, Brillanz, Arabesken, Glitzerkram, Boa, Federn, Haare, Fell: Was auch immer man an äußerer Attraktion anführen mag, mit Irène Schweizer hat das nichts zu tun. Bei der Jazzpianistin, die ihre Herkunft im Namen trägt, gibt es keine Ergänzung, keine Zutat, eigentlich auch keine Zugabe. Gegen den schönen Schein muss sie sich imprägniert haben. Wer aber Intensität, Konzentration, Verdichtung, Prägnanz, den Kern in der Musik sucht, der findet bei ihren Auftritten und auf ihren Einspielungen seit fünfzig Jahren ausreichend Hörproben. Wie sie davon leben konnte, steht auf einem anderen Blatt.

          Michael Naura, ihr Hamburger Pianistenkollege mit feinem Anschlag und spitzer Zunge, hat einmal beschrieben, wie er bei einer Soiree von einer Dame der Gesellschaft nach seinem Beruf gefragt wurde. Als er antwortete, er sei Jazzmusiker, habe er bemerkt, wie ein Anflug von Ekel sich um die gepuderte Nase der Dame legte, als hätte er gesagt: Arbeitslos.

          Bloß kein Macho-Powerplay 

          Irène Schweizer aus Schaffhausen, zeitweilig in London lebend und lange schon in Zürich zu Hause, hat jahrelang als Sekretärin ihr Brot verdient, um Musik machen zu können, ohne an den Markt und seine Gesetze denken zu müssen. Ihr erstes Solo-Album „Wilde Señoritas“ brachte sie im gesetzten Jazz-Alter von sechsunddreißig Jahren heraus. Da hatte sie schon harte Jahre musikalischer Bewusstseinsbildung hinter sich und war über kleinere Formationen, unter anderem mit dem Schlagzeuger Mani Neumeier und dem Bassisten Uli Trepte, schließlich zur Hardcore-Avantgarde des Wuppertaler Free-Jazz-Zirkels um Rüdiger Carl, Peter Brötzmann und Han Bennink gestoßen und war ständiger Gast beim Total Music Meeting, dem ruppigen Gegenentwurf zu den Berliner Jazztagen.

          Apropos Free Jazz: Wer sich heute ihre Aufnahmen bei FMP aus den siebziger Jahren anhört, auch die späteren Duo-Aufnahmen mit diversen Schlagzeugern, der wird erkennen, dass damals schon die blanke Zerstörung, die Maßlosigkeit und die chaotischen Ausfransungen vieler Akteure dieses zügellosen Antistils nicht ihr Ding gewesen sind. Das war sicher auch ein Grund, warum sie sich der „Feminist Improvising Group“ von Lindsey Cooper anschloss und die „European Women Improvising Group“ gründete: Sie standen nicht im Verdacht, aus dem freien Spiel der musikalischen Kräfte ein Macho-Powerplay zu veranstalten.

          Zur eigenen musikalischen Handschrift kam sie seit den achtziger Jahren, wie die Einspielungen für das Intakt-Label dokumentieren, vor allem jene mit dem Perkussionisten Pierre Favre und die vielen Soloplatten. Die Offenheit gegenüber allen Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks – von Satie über Schönberg bis zu Ornette Coleman und John Cage – ließ sie zu einer der originellsten Jazzpianistinnen der Gegenwart werden; einer Künstlerin, die aus den anarchischsten Spielhaltungen zu griffigen Formen fand. Irène Schweizer ist für ihre Kunst vielfach geehrt worden, unter anderem 2018 mit dem Schweizer Grand Prix Musik. Heute kann sie ihren achtzigsten Geburtstag feiern.

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