Innsbrucker Festwochen : Durch den Bühnennebel tänzelnd in den Tod
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Klar, kernig und brillant: Viktorija Miškunait als Saverio Mercadantes Didone in Innsbruck Bild: Innsbrucker Festwochen / Rupert
Schwerlich barock, aber aus Neapel: Jürgen Flimm inszeniert Mercadantes „Didone abbandonata“ zur Eröffnung der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik.
Wie alt ist Alte Musik? Wäre der rasende technische Fortschritt das Maß, dann müssten eigentlich längst Luigi Nonos und erst recht Arnold Schönbergs Kompositionen, in denen vor nahezu hundert Jahren erstmals die Zwölftontechnik angewandt wurde, als alt bezeichnet werden. Doch im Sprachgebrauch des klassischen Musikbetriebs wird Alte Musik stets mit der Renaissance- und Barockmusik verknüpft. Insofern überraschte Alessandro de Marchi, der künstlerische Leiter der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, das Festivalpublikum zur Eröffnung im Tiroler Landestheater: Denn Giuseppe Saverio Mercadantes „Didone abbandonata“ von 1823 lässt sich schwerlich als Barockoper bezeichnen.
Vielmehr leuchtet allenthalben Rossinis quirlig-eloquente Musik aus dieser Partitur, auch die schmiegsamen Linien von Bellinis Cavatinen klingen ab und zu an. An den Barock erinnern allenfalls die zahlreichen Secco-Rezitative, mit denen die Arien, Duette, Terzette und Sextette dieser knapp dreistündigen Oper verbunden werden, die auch mächtige (Männer-)Chöre birgt. Seine Stückwahl rechtfertigt de Marchi durch den Umstand, dass Mercadante in Neapel wirkte, wo er drei Jahrzehnte lang Direktor des städtischen Konservatoriums war. Und so werde die lange Aufführungstradition neapo-litanischer Opern, die von den Innsbrucker Festwochen seit über vier Jahrzehnten gepflegt wird, mit Mercadantes „Didone abbandonata“ gleichsam ans historische Ende geführt.
Ein nahezu romantischer Tonfall
Das Stück folgt weitgehend dem beliebten Libretto Pietro Metastasios aus dem Jahr 1724, in dem die unglückliche Liebesbeziehung zwischen dem aus Troja geflüchteten Enea (Äneas) und der Karthagerkönigin Didone (Dido) erzählt wird, die von dem sendungsbewussten trojanischen Helden verlassen wird, weil dieser meint, einem göttlichen Auftrag folgen zu müssen, um in Rom ein neues Troja zu gründen. Einige Änderungen an Metastasios Text resultierten aus musikalischen Gründen, denn Mercadante strich zahlreiche Rezitative, deren Textpassagen von Andrea Leone Tottola für Soli und Ensembleszenen umgearbeitet wurden. Der Tragik des Stoffes geschuldet, der mit dem Tod Didones endet, tastet sich Mercadante an einigen Stellen an einen nahezu romantischen Tonfall heran. Der Belcanto und dessen raffinierte Gesangstechniken bilden dennoch das unbestrittene Zentrum dieses Werks.
Die enormen Herausforderungen der solistischen Gesangspartien zählen sicher zu den vielen Gründen, weshalb die Oper nach der Turiner Uraufführung von 1823 und einigen Wiederaufführungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (unter anderem in Neapel, Paris und London) rasch von der Bildfläche verschwand. Vor allem die Titelpartie der Didone erfordert eine Sängerin, die verschiedene Typen des Sopranfachs in sich vereinen muss: Leichte, feinst verzierte Koloraturen münden oft in dramatische Spinto-Attacken, dann sind wieder lyrische Bögen vorgeschrieben, und überdies wird der Stimme auch ein enormer Ambitus abverlangt. Die junge Litauerin Victorija Miškunaité beherrscht diese Fachwechsel mit ihrem klaren, kernigen Sopran bravourös und verkörpert auch schauspielerisch überzeugend den inneren Schmerz und die Wut der Didone.
Dennoch kann Mercadantes Musik nicht überzeugen. Um die Tragödie, die Hector Berlioz nur fünfunddreißig Jahre später in seinen „Troyens“ so mitreißend schildert, plausibel zu vermitteln, fehlen Mercadante die musikdramatischen Mittel. Und in den Belcantopassagen, so musikantisch die eine oder andere auch ist, vermisst man die zündenden Funken Rossinis, die diese Musik erst lebendig werden lassen. Es scheint, als sei ein handwerklich zweifellos grundsolider Traditionalist auf halbem Wege stehen geblieben, weil ihm der Mut zu wirklich Neuem fehlte.
Das Vorkriegsszenario kippt in eine Groteske
Diesen Vorwurf wird man Jürgen Flimm, der die Innsbrucker „Didone abbandonata“ inszenierte, sicher nicht machen können. Mit seinem Konzept holt er den historischen Stoff in unsere zunehmend militanter werdende Gegenwart. Ein nacktes Betonfundament, aus dem noch die Stahlarmierungen ragen, bildet die auf einer Drehbühne rotierende Spielfläche: Dieses Karthago ist in Magdalena Guts Bühnenbild schon wüst, noch ehe es ein Brand vernichtet. Wie Fremdkörper wirken ein Kanapee und ein Kühlschrank auf dieser Baustelle, die von Soldaten (der präsente Herrenchor des Coro Maghini) in verschiedenen Formationen umschwirrt wird: Mal treten sie mit den Käppis der Fremdenlegion auf, mal mit Turbanen, wenn sie dem maurischen Fürsten Jarba (Jarbas) dienen, der die Abfahrt des Enea nutzen will, um Didone zu erobern.
Mit viel Bühnennebel, der gnädig den Stillstand so mancher Massenszene verdeckt, zeigt Flimm ein gespenstisches Vorkriegsszenario, das am Ende in eine Groteske kippt. Da tänzelt Jarba, den der baritonal gefärbte Tenor Carlo Vincenzo Allemano mit der Widerlichkeit eines brutalen Macho spielt, mordend und wie von Sinnen lachend über die Bühne. Auf der Strecke bleiben die beiden Frauen. Obwohl ihm Enea, den die blitzsauber intonierende Mezzosopranistin Katrin Wundsam in schicker blauer Uniform singt, in einem Duell eine Lektion erteilt, vergewaltigt Jarba nach dessen Abreise Didones Schwester Selene (Emilie Renard) und will auch die Königin vernichten. Immerhin zückt Didone einen Dolch, um den Tanz des Wüstlings jäh zu beenden. Tröstlich ist daran freilich nichts.
Intendant Alessandro de Marchi am Pult der Academia Montis Regalis bemüht sich mit Elan, die Musik Mercadantes erblühen zu lassen. Etliche Kickser der Blechbläser, die schon in der Ouvertüre stören, aber auch rhythmische Unsicherheiten des gesamten Ensembles trüben ein wenig den Eindruck. Der seidenweiche Klang der Originalinstrumente und der tiefere Stimmton von 430 Hertz waren für die Solistinnen und Solisten sicher Balsam. Mehr als eine Reminiszenz an eine verflossene historische Epoche gelang jedoch nicht.