„Der zerbrochene Krug“ : Der Teufel und der leere Gott
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Wer auf einem so massiven Stuhl sitzt, kann nicht so leicht untergehen: Klaus Maria Brandauer als Dorfrichter Adam Bild: Joachim Fieguth
Klaus Maria Brandauer spielt in Peter Steins Berliner Inszenierung des „Zerbrochnen Krugs“ den Dorfrichter Adam als grandiosen Komiker der Ursünde. Wo am Ende alle Hoffnungen betrogen sind, bleibt nur das große Theater.
Das Paradies ist verriegelt und verschlossen. Es kommt niemand mehr hinein. Aber auch niemand mehr heraus. Es liegt hinter einem bühnenhohen Wellblechvorhang, auf den im Berliner Ensemble Jean Jacques Le Veaus Kupferstich „Le juge, ou la cruche cassée“ (Der Richter oder Der zerbrochne Krug) von 1782 projiziert ist, von dem Heinrich von Kleist sich für sein Lustspiel von 1806 anregen ließ: ein Tisch, bedeckt mit einer schweren Brokatdecke, an dem ein Schreiber sitzt; rechts daneben ein Richterstuhl samt Richter drauf; davor eine ältere Frau mit zerbrochenem Krug; ein Bauernlümmel, der ihn zerbrochen haben mochte und der vom Richter angedonnert und offenbar des Krugzertrümmerns für schuldig befunden wird; ein Mädchen, das in dieser Sache gezeugt haben mochte und verschämt und peinvoll an der Schürze nestelt, denn womöglich ist mehr kaputt- gegangen als nur ein Krug; ein hohes schräges Dach, das rechterhand einen winkeligen Raum überragt; neben dem Richter in der Wand eine Tür, durch die Leute drängen. Das Urbild eines Sündenfalls. Bürgerlich gestochen scharf.
Wenn der eisern gewellte Vorhang hochfährt, sieht man auf Ferdinand Wögerbauers Bühne exakt diesen groß gewinkelten Raum mit exakt dem Tisch samt Brokatdecke, exakt dem Richterstuhl aus dem alten Stich, nur dass die Tür neben dem Richterstuhl an der Wand durch ein großes Sprossenfenster in gleißendem Morgenschimmer ersetzt ist, durch das kaltes Winterlicht fällt und durch das hinaus der Richter sich im Verlauf der Verhandlung schon mal erbricht und am Ende fliehend hinausstürzt aufs Schnee- und Eisfeld. Der Regisseur Peter Stein hat keine Angst vor alten Bildern. Er liebt sie geradezu. Denn seine Inszenierungen können sich die historische Verkleidung auch leisten. Sie sind nicht aufs Gegenwartskostüm angewiesen, um von heute zu sein.
Der Himmel gähnt
Wenn die vielen lebenden Hühner, die auf der Bühne über Tisch und Aktenordner und Stühle flattern und gackern, von zwei lachkreischenden Mägden verjagt sind zu Arturo Annecchinos rascher, heller, lustig-federnder Buffa-Musik (Klavier und Streicher), landet hier unendlich langsam humpelnd im langen weißen Gewand sogar ein Mann von morgen. Mit blutigen Kopfwunden, die er sich gestern Nacht zuzog, als er versuchte, Eve in deren Kammer sexuell zu erpressen, von derem Bräutigam Ruprecht überrascht wurde, durchs Kammerfenster floh, in den Spalierzweigen davor hängen blieb, von Ruprecht mit der herausgerissenen Türklinke eins übergezogen bekam, wobei dann auch der Krug zerbrach, tritt Klaus Maria Brandauer als Dorfrichter Adam auf. Ein abgerissener, in heillose Fernen wie in leere Himmel hineinstarrender Seinskomiker. Kein Teufelskerl. Eher der zum Kerl gewordene Teufel, der ja nichts anderes als der von Gott (dem Guten) abgefallene Engel ist.
Brandauer hat schon auch was vom Strizzi-Dorfrichter: Er brüllt die Zeugen an, mault mimisch-höhnisch ihre Aussagen nach, bramarbasiert, schmiert, scharwenzelt, fällt plötzlich rollenden „Rrrrrrs“ in den allerübertriebensten satirisch aufgebrezelten Burgtheaterton – aber er macht aus seiner Technik keine Brandauer-Grube. Sondern einen herrlichen Abgrund. Es wirkt, als schwänzele, heule, grinse, lüge er in alle Eiseshimmel hinauf, aus denen ihm nicht einmal mehr die Gnade angähnt. Ein Amoralist, der mit keinem Urteil mehr rechnet, weil niemand mehr da ist, der eines sprechen könnte.