Theaterskandal in Hamburg : Was erlauben Hermanis?
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Sagte am Thalia Theater in Hamburg ab: Alvis Hermanis. Bild: dpa
Alvis Hermanis war an Europas Theatern ein gerngesehener Regisseur. Bis er dem Thalia Theater absagte, weil ihm die deutsche Flüchtlingspolitik missbehagt. Jetzt gilt er als Rassist. Zurecht?
Bis zum Wochenende gehörte Alvis Hermanis zu den angesehensten Regisseuren des europäischen Theaters, auch in Hamburg, wo er am Thalia Theater im kommenden April das Stück „Russland. Endspiele“ inszenieren wollte. Jetzt bezeichnet die „taz“ ihn als „rassistischen Regisseur“, und die „Welt“ wirft ihm vor, er sei noch paranoider als Pegida, während die „Neue Zürcher Zeitung“ den hasserfüllten Shitstorm beklagt, der über ihm niedergegangen sei.
Normalerweise ist das, was in der Theaterwelt als Riesenskandal gilt, außerhalb nur ein Skandälchen. Das ist diesmal ein wenig anders. Denn es geht nicht nur um Kunst, sondern auch um die Flüchtlingskrise. Das ist der Auslöser dafür, dass Hermanis „aus privaten Gründen“ um die Auflösung seines Vertrags gebeten hat. In einer Pressemitteilung, die das Theater am Freitag verschickt hat, spricht der Intendant Joachim Lux von „politischen Beweggründen“ des Regisseurs und zitiert Hermanis ohne dessen Wissen in indirekter Rede aus E-Mails: Die deutsche Begeisterung, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, sei extrem gefährlich für ganz Europa, weil unter ihnen Terroristen seien, heißt es da, und weiter: „Eine gleichzeitige Unterstützung von Terroristen und den Pariser Opfern schließe sich aus. Zwar seien nicht alle Flüchtlinge Terroristen, aber alle Terroristen seien Flüchtlinge oder deren Kinder. Die Anschläge von Paris zeigten, dass wir mitten im Krieg seien. In jedem ,Krieg‘ müsse man sich für eine Seite entscheiden, er und das Thalia Theater stünden auf entgegengesetzten. Die Zeiten der political correctness seien vorbei.“
Der Intendant gibt ihn zum Abschuss frei
Damit hat der Intendant seinen Regisseur zum Abschuss freigegeben. Eine Kollegin von Lux hat bereits dazu aufgerufen, Hermanis künftig zu boykottieren, was der Thalia-Intendant ablehnt. Hermanis hat Lux der manipulativen Verwendung seiner E-Mails bezichtigt. Nach Gesprächen mit Thalia-Leuten habe er verstanden, dass sie nicht offen seien für abweichende Meinungen: „Sie sehen sich als Refugees-Welcome-Zentrum. Jawohl, ich will da nicht mitmachen.“ Hermanis macht geltend, dass er als Vater von sieben Kindern zurzeit an der Pariser Opéra Bastille arbeitet und in einem der von den Anschlägen betroffenen Stadtviertel lebt. Das muss man respektieren.
Politisch wird es, wenn der Regisseur die deutsche Flüchtlingspolitik als falsch und gefährlich bezeichnet und behauptet, dass erst 132 junge Menschen sterben mussten, bevor endlich zugegeben wurde, dass ein Zusammenhang zwischen der Flüchtlingspolitik und dem Terrorismus besteht. Das muss man kritisieren dürfen. Hermanis sagt: „Wir teilen den Enthusiasmus hinsichtlich offener EU-Grenzen und unkontrollierter Einwanderung nicht. Vor allem im Osten Europas verstehen wir diese Euphorie schlecht. Wer glaubt denn allen Ernstes, vierzig Millionen polnische Bürger, um ein Beispiel zu geben, seien Neonazis und Rassisten?“
Das Theater verwechselt gelegentlich humanitäres Engagement mit künstlerischer Arbeit. Es sollte nicht auch noch Toleranz mit Selbstgerechtigkeit verwechseln. Man kann die Äußerungen und das Verhalten von Hermanis für falsch halten und dennoch Zweifel am Umgang mit der Flüchtlingskrise haben. Lux bedauert, dass der Riss, der durch Europa gehe, die Kultur erreicht habe. Ja, wie denn auch nicht? Ist das nicht eine gute Nachricht? Wenn das Theater sich einmischen will, muss es diesen Riss künstlerisch verarbeiten, anstatt ihn in Pressemitteilungen zu beklagen.