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Münchner Konzertsaal : Wer jetzt kein Konzerthaus hat

Gelände „mit Potential“: Die Kultfabrik am Ostbahnhof, einer der möglichen Standorte des neuen Konzertsaals Bild: dpa

Das neue Münchner Musikzentrum soll nicht in der Innenstadt gebaut werden. Das geheime Gutachten, auf das die Staatsregierung sich stützt, operiert mit einem Trick.

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          Bloß nicht elitär erscheinen! Das war fünfzehn Jahre lang die geheime Devise der Musikfreunde, die für den Bau eines neuen Konzertsaals in München werben. Um keinen Preis wollte man dem Verdacht Nahrung geben, der Steuerzahler solle Wohlhabenden einen Luxuswunsch finanzieren. Nun kamen in der vergangenen Woche im Münchner Osten, auf einem ehemaligen Fabrikgelände hinter dem Ostbahnhof, Leute zusammen, die meinen, dass das Konzerthaus im Münchner Osten gebaut werden soll.

          Patrick Bahners
          Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.

          Eingeladen hatten die lokalen CSU-Abgeordneten und der Eigentümer des Geländes, Werner Eckart, dessen Familie dort früher die Pfanni-Werke betrieb. Der Kartoffelduft ist verflogen, die Signalfarbe der Pfanni-Reklame ist geblieben. Orange sind die Schriftbalken, die das Publikum lenken, das nachts in die zu Tanzschuppen umgewidmeten Industriebaracken strömt. Weniger elitär geht es nicht. Als künftiges Kulturquartier empfiehlt sich dieses „Werksviertel“ insofern, als Kultur durch Umwertungen geschaffen wird. Man wird eingeladen, das Schäbige für schick zu halten.

          Doch als einer der Gastgeber, der Landtagsabgeordnete Andreas Lorenz, den Versammelten im Schlusswort einschärfte, da man den Bauplatz habe, dürfe man mit dem Baubeginn nicht mehr warten, beschwor er nicht solche Usancen der ästhetischen Urteilsfindung, sondern mutmaßliche Erfahrungen handfesterer Art: „Sie alle sind vielleicht auch Hausbesitzer.“ Wie bitte? Wie wahrscheinlich ist es, dass fast jeder engagierte Orchesterkonzertbesucher eine Immobilie sein eigen nennt, und nicht etwa bloß eine Wohnung, sondern gleich ein ganzes Haus? Ist für München nicht typisch, dass auch Familien mit gutem Einkommen oft lieber mieten als kaufen?

          Keine große Geste à la Elbphilharmonie

          Ein Privatmann, der die Wahl des Grundstücks für seinen Hausbau nach den Maßgaben zu treffen hätte, die für die möglicherweise schon am kommenden Dienstag zu erwartende Konzertsaal-Entscheidung der Bayerischen Staatsregierung gelten sollen, nähme von seinem Bauvorhaben wahrscheinlich wieder Abstand. Nur noch zwei Standorte stehen zur Auswahl, das Pfanni-Gelände und die Paketposthalle westlich des Hauptbahnhofs, und beiden bescheinigt das vom Freistaat in Auftrag gegebene Gutachten des Frankfurter Architekturbüros Speer und Partner eine „geringe Eignung“.

          Auf dem Podium in der „Nachtkantine“ des Werksviertels saß auch Gerhard Matzig, Architekturkritiker der „Süddeutschen Zeitung“, der ein autobiographisch koloriertes Plädoyer für ein Konzerthaus im dicht bebauten Altgewerbegebiet als ehrliche, echt urbane Alternative zur großen Geste à la Elbphilharmonie hielt. In der gestrigen Ausgabe seines Blattes hat Matzig diesen Standpunkt auch seinen Lesern dargelegt. Er zitiert aus dem Gutachten, das diese Zeitung im Kunstministerium einsehen durfte. Veröffentlicht wird es nicht, obwohl Kunstminister Ludwig Spaenle nach der Präsentation im Kabinett zunächst „keinen größeren Geheimhaltungsbedarf“ gesehen hatte.

          Matzig stellt die Wertungen des Gutachtens beim Kriterium der „Standortidentität“ einander gegenüber. Paketposthalle: „geringe Eignung, mittleres Potential“. Werksviertel: „hohes Potential“. Die Eignung der Paketposthalle ist nach dem Wortlaut des Gutachtens sogar nur „sehr gering“.

          Das Resultat ist nur scheinbar eindeutig

          Matzig unterschlägt, dass die Gutachter auch dem Werksviertel eine „geringe Eignung“ attestieren. Speers Experten haben auftragsgemäß noch drei weitere Orte bewertet: den Finanzgarten zwischen Hofgarten und Englischem Garten, den Apothekenhof der Residenz und das Eissportzentrum im Olympiapark. Sie vergaben Punkte für verschiedene Prüfgesichtspunkte. Es ergab sich ein Ranking mit scheinbar eindeutigem Resultat: Das Werksviertel erhielt 81 von 100 denkbaren Punkten, die Paketposthalle 67, der Finanzgarten 63, der Olympiapark 57 und der Apothekenhof 55.

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