Der Tschaikowsky-Wettbewerb : Spielt das Orchester ein anderes Stück, muss der Pianist schnell reagieren
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Die größte Aufmerksamkeit zogen nach wie vor die beiden Königsdisziplinen Geige und Klavier auf sich. Bei den Geigern war man auch deswegen gespannt, weil bei den beiden letzten Wettbewerben 2011 und 2015 keine ersten Preise vergeben wurden und man endlich wieder einen Sieger erleben wollte. Und tatsächlich erwies sich das Niveau diesmal als phänomenal hoch. Bis zum Finale mit sechs Teilnehmern erschien der Ausgang offen. Da kam es, wie im Sport, auf den punktgenauen Einsatz optimaler Leistung an. Am Ende siegte der dreißig Jahre alte Russe Sergey Dogadin, ein wettbewerbserfahrener, mit ersten Preisen vom Joseph-Joachim-Violinwettbewerb in Hannover sowie vom Singapore International Violin Competition dekorierter Kämpe. Freilich ist dies bei einer herausragenden Entscheidung wie dem Tschaikowsky-Wettbewerb nicht immer ein Vorteil, frühere Siege können auch zur Last werden. Das Rennen blieb spannend bis zur letzten Sekunde. Der charismatische Marc Bouchkov aus Belgien, der den zweiten Preis errang, beeindruckte ebenso wie das lyrische Talent aus Korea, Kim Donghyun, der mit seinem Instrument zauberte, verzauberte und auf dem dritten Platz landete.
Es gibt aber auch noch den ominösen vierten Platz. Den erhielten viele bedeutende Musiker, beispielsweise 1974 der Pianist András Schiff und 2015 der Pianist Lucas Debargue. Diesmal fiel er dem russischen Geiger Aylen Pritchin zu, den die Zuhörer favorisiert hatten. Pritchin musizierte ohne die Stütze eines hochwertigen Instruments. Doch durch seine stilistische Strenge und zugleich sehr bewegende, subjektiv angelegte Interpretation zog er alle in seinen Bann. Immerhin erhielt Pritchin den Preis der Assoziation der Musikkritiker und wird mit einer CD-Produktion der Firma „Melodija“ belohnt.
Dafür waren sich im Fach Klavier Jury und Publikum einig. Zum absoluten Gewinner wurde der Franzose Alexander Kantorov gekürt. Kantorov spielte Tschaikowskys zweites Klavierkonzert in G-Dur brillant und voll sprühender Energie, in der musikalischen Durchdringung außerordentlich sensibel, weit gespannt in seinen Ausdrucksmöglichkeiten. Der Pianist erhielt auch beim Galakonzert in Sankt Petersburg den mit hunderttausend Dollar dotierten Grand Prix des Tschaikowsky-Wettbewerbs. Bestechend ist Kantorovs Gespür für formal bedingte Weite in den melodischen und harmonischen Gesten, was er am zweiten Klavierkonzert B-Dur von Johannes Brahms bewies.
Auch die Konkurrenz war stark. Der zwanzig Jahre alte Japaner Fujita Mao ist nicht nur ein Vollblutmusiker, der mit Wolfgang Amadeus Mozart und Frédéric Chopin seine Zuhörer hinriss, sondern auch ein echter Shootingstar. Mao erhielt zusammen mit dem russischen Virtuosen Dmitry Shishkin den zweiten Preis. Den dritten teilten sich drei Musiker: die Moskauer Konstantin Emelyanov, Alexey Melnikov und der Amerikaner Kenneth Broberg, alle haben russische Lehrer. Das Missgeschick mit dem chinesischen Pianisten An Tianxu, bei dem in der Finalrunde das Orchester fälschlicherweise ein anderes Werk anstimmte und der Solist während der ersten Noten blitzschnell umzuschalten wusste, brachten ihm den vierten Platz ein und den Ehrenpreis „Für Gelassenheit und Mut“.