Beethovens Streichquartette : Altersweise? Von wegen!
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Es sind vor allem diese Adagiosätze, welche die Aufnahme der Ébènes zu Tempeln der Innerlichkeit machen, zu Säulengängen, in denen man sich verlieren möchte. Angefangen mit dem „Adagio affettuoso ed appassionato“ aus dem ersten Quartett op. 18 Nr. 1, ein d-Moll-Satz, der bis zum dreifachen Piano zurückgenommen wird, über die beiden Adagiosätze in den mittleren Quartetten op. 59 Nr. 1 und Nr. 2 – existentielle Verlassenheit der eine, zärtlichste Zuwendung der andere – bis zum langsamen Satz in op. 74, dem bis heute leider unterschätzten „Harfenquartett“. Eigentlich müsste es mit den runden, elastischen Pizzikato-Bällen des famosen Cellisten Raphaël Merlin jetzt zum Kultstück aufrücken. Das friedlich anhebende As-Dur des langsamen Satzes trübt sich bald wie von einer dunklen Wolke verdeckt in die auch zu Beethovens Zeit noch weitgehend exterritoriale Tonart as-Moll ein – eine fast erschreckende Fahlheit, die am Satzende mit der Bezeichnung „morendo“ auf den Begriff gebracht wird.
Meister des Übergangs bei vollem Risikoeinsatz
Und größer als hier könnte der Kontrast zum folgenden Satz, einem Presto c-Moll, nicht sein. Als wär’s nicht schon schnell genug, verlangt Beethoven noch zweimal ein „più presto quasi prestissimo“, wie später Robert Schumann in seiner Klaviersonate op. 22, in deren Presto-Kopfsatz es heißt: „so rasch wie möglich“ und später „noch schneller.“
Keine Frage, dass das Ébène-Quartett auch Beethovens Geschwindigkeitsräusche virtuos pariert, ohne je manieristisch oder forciert zu wirken oder jemals in den vielen Läufen durch alle Instrumente hindurch die Balance zu verlieren – sie sind Meister des Übergangs bei vollem Risikoeinsatz. Und die Musiker unterstreichen, dass Beethovens Extremanforderungen in allen Quartettphasen gleich verteilt sind, dass also zwischen den frühen Werken op. 18 und den letzten Quartetten keine prinzipiellen, nur graduelle Unterschiede liegen: Er war von Anfang an radikal und experimentell, widerborstig und provokant. Auch der gängigen Meinung, Beethovens letztes Quartett op. 135 sei eine altersweise Abschiedsgeste, wird heftig widersprochen.
Gestalterische Überlegenheit
Denn ausgerechnet hier findet sich einer der verrücktesten Sätze, die Beethoven je geschrieben hat: ein Vivace von etwas über drei Minuten Dauer, in dem alles außer Kraft gesetzt wird, was selbst bei weitester Auslegung noch als „im Rahmen“ durchgehen würde. Schon der Anfang beschreibt ein Stolpern, die zweite Geige setzt zu früh, die erste zu spät ein – einholen können sie sich nicht. Dann knallt Beethoven auf das Staccato und Pianissimo des Zieltons F (von F-Dur) ein breitestes, „falsches“ Es in einer nach unten verrutschten Oktavlage. In diesen Ton Es muss man sich todesmutig reinstürzen, um ihn alsbald wieder im Diminuendo zurückzunehmen.
Die gestalterische Überlegenheit der Ébène-Musiker kulminiert im Mittelteil dieses Satzes, in dem zweite Geige, Viola und Violoncello sage und schreibe fünfzig Takte lang eine Floskel wie in einer Endlosschleife der Minimal Music wiederholen, während die erste Geige verzweifelt versucht, so etwas wie eine Melodie in der dreigestrichenen Oktave zu finden. Das Ganze ist eine obsessive Klangfläche in ekstatischem A-Dur, ein einziges Decrescendo vom ausgehenden Fortissimo mit zusätzlichen Sforzati zurück über Diminuendo, zweifaches und schließlich dreifaches Piano. Und wie das Ébène-Quartett aus dieser Orgie in das anschließende Unisono in der Ausgangstonart F-Dur zurückfindet, ohne die mindeste Verzögerung, ohne die mindeste Verunsicherung – das muss man hören und immer wieder hören.
Beethoven – Around The World. The Complete String Quartets. Quatuor Ébène. 7 CDs. Erato 0190295339814.