Interview mit Chris Dercon : Unser Theater soll eine Schule des Befremdens sein
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Sie planen Großes: Marietta Piekenbrock und Chris Dercon in ihrem Berliner Planungsbüro Bild: Andreas Pein
Hätte sich die designierte, schon heftig angefeindete Volksbühnen-Spitze den Ärger nicht ersparen und einfach ihre konkreten Pläne bekanntgeben können? Hier, im ersten Interview, tut sie es.
Herr Dercon, Sie sind in den letzten Monaten und Wochen so heftig beschimpft worden wie kein anderer designierter Intendant seit langem. Wenn Sie die Volksbühne besichtigen wollen, müssen Sie mit Frank Castorfs Anwalt verhandeln. Auf einem Empfang wurde Ihnen Bier über den Kopf geschüttet. Kurz sah es so aus, als würde die neue Stadtregierung Ihre Berufung rückgängig machen wollen. Fühlen Sie sich hier in Berlin inzwischen wie ein Klassenfeind?
Chris Dercon: Nein. Aber dass es nicht einfach werden würde, das wusste ich von Anfang an. Ein Museumsmann an einem Theater – das ist nicht einfach für alle Beteiligten. Ich hätte das Angebot auch nie angenommen, wenn ich in meinem Leben nicht viel mit Theater zu tun gehabt hätte. Während meines Studiums war ich oft im Studententheater der katholischen Universität Löwen und damit bei der Geburtsstunde des neuen belgischen Theaters dabei. Künstler wie Anna Teresa de Keersmaeker und Meg Stuart machten in Brüssel ihre ersten Schritte. Ich habe dann auch viel Zeit am Kaaitheater in Brüssel verbracht, das sich schon sehr früh internationalisierte. Meine ersten Ausstellungen habe ich im Rahmen von Theater- und Tanzinstitutionen realisiert und war eine Zeit lang wöchentlich im Mickery Theatre in Amsterdam. Was ich da gesehen habe, ist für mich immer noch eine unglaubliche Inspirationsquelle. Ich hatte während meiner Karriere als Museumsleiter immer wieder Lust, etwas mit Theater zu machen. Auch in der Tate Modern haben wir das ja immer wieder versucht.
Die Tate Modern hat sich mit der Turbine Hall in der Tat sehr früh für performative Formen geöffnet. Was kann das Museum, was das Theater nicht kann?
Dercon: Museen werden immer mehr zu Begegnungsorten. Gleichzeitig gibt es in der Theater- und Tanzwelt, auch der Musik, mehr und mehr den Wunsch, sich den temporalen und räumlichen Konventionen zu entziehen. Ein Museum kann das theoretisch möglich machen. Da kann eine Performance um acht Uhr morgens anfangen und zwei Tage und Nächte dauern.
Und was kann das Theater, was das Museum nicht kann?
Dercon: Das Museum hat nicht die Technik und die Programmatik und auch nicht die Mittel, die zum Beispiel ein Theater wie die Volksbühne hat. Da geht es nicht nur um Menschen, sondern auch um Technik, Beleuchtung, Werkstätten. Die Bildende Kunst findet immer wieder neue Tricks, um die Kunst noch weiter durchzuökonomisieren. Im Theater ist nothing for sale. Man kann es nicht besitzen und wenn, dann als geistigen Besitz, als gemeinschaftlichen Besitz – das interessiert mich am Theater.
Frau Piekenbrock, Sie haben die renommierte Ruhrtriennale und andere erfolgreiche Festivalformate entwickelt. Jetzt werden Sie Programmdirektorin eines Stadttheaters, das bisher den Ensemblegedanken hochgehalten, im Repertoire produziert und kein Festivaltheater gemacht hat. Was wird sich daran von September 2017 an ändern?